Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
knallte und krachte und überreichte Lucia einen dicken Brief.
Er stammte von Alphonse. Darauf bat Lucia den am Stampfer arbeitenden Nicola, sie alleine zu lassen. "Wir machen heute Nachmittag weiter, si?"
"Aber Wort halten!"
"Sicher doch."
In ihrer Pausenecke nahm sie dann auf einem der Stühle Platz und öffnete den Briefumschlag. Eine bemalte Karte war zu sehen, und wie Lucia sie herausholte, bestätigte sich ihre Vermutung - Alphonse hatte ein dralles, strahlendes Baby gemalt und darunter in Schönschrift verfasst:
In meiner Hüll war's mir zu still,
mir, Philipp Alarich de Belleville.
Deshalb kam ich zur Welt, wie wunderbar,
in diesem Jahr, am 18. Februar.
Ein Bub und tatsächlich im Februar geboren, wie ihre Mutter vermutet hatte, allerdings erst eine Woche nach Alphonses Geburtstag. In ihrer Freude eilte Lucia in Leonardos Atelier und schaute sich darin um - er war nicht da. Schade, bedauerte sie, betrachtete sich die Karte mit dem drallen Baby noch mal und baute sie Leonardo dann auf jenem Tisch auf, an dem er derzeit meistens zum Skizzieren saß.
Zurück im Labor, nahm sie sich Alphonses Brief vor, der ebenfalls im Umschlag gesteckt hatte.
Zunächst teilte er ihr mit, dass er in Belleville bis heute niemanden über ihr Adoptionsverhältnis unterrichtet habe, und es liege in ihrem Interesse, das auch weiterhin so zu halten. Zumal sie diese Regelung gleichzeitig von familiären Pflichtbesuchen in Belleville befreie, wobei er vorrangig an die Dauer ihres Studiums denke. Ihre Kunstausbildung stehe schließlich an erster Stelle, und ihre wenige Freizeit möge sie besser in Meran bei ihrer Maman verbringen, sie hätten einander viel zu lange entbehrt. Überdies werde die Zeit jetzt für sie reif, sich mit ihrem Vater auszusöhnen. Danach folgten noch einige aufbauende Sätze für ihre Ausbildung, und zum Abschluss bat er sie, die Künstler, Carlo und Salai zu grüßen, besonders herzlich aber Leonardo. 'Gib ihm einen Kuss von mir', fügte er frech hinzu, 'aber nicht auf den Mund!'
Ein ungewohnter Brief von Alphonse, fand Lucia und doch typisch für ihn. Stets dachte er an alle anderen und vergaß darüber sich selbst, sogar jetzt, wo er gerade Vater geworden war.
Leonardo ließ Lucia warten und warten. Zu Mittag war er nicht erschienen, nicht am Nachmittag und auch nicht zum Abendbrot. Und all die Zeit hatte Lucia Alphonses Freudensnachricht für sich behalten müssen, da sie zuerst Leonardo erfahren sollte.
Deshalb hielt sie sich auch nach Feierabend wieder im Labor auf, um nebenan in seinem Atelier, das er in letzter Zeit immer zuerst betrat, seine Ankunft und vor allem seine Reaktion auf Alphonses Karte nicht zu verpassen. Gerade hatte Lucia im und am Haus alle Nachtlampen angezündet, als sie Leonardo endlich vom Hof her auf den Palazzo zukommen hörte. Jedoch nicht in Richtung ihres Laboreingangs, wie früher stets, wenn noch Licht darin brannte, nein, wegen Lucias derzeitiger Zurückhaltung wählte er den Eingang zum Korridor. Bald vernahm sie von nebenan seine Schritte, sie hörte, wie er einen Stuhl verrückte und danach wurde es still. Wahrscheinlich saß er an einem Arbeitstisch, aber wohl nicht an dem, worauf die Karte stand, vermutete sie. - Doch, nun hörte sie ihn auf ihre Verbindungstür zukommen, er öffnete sie und strahlte Lucia mit der Karte in der Hand an: "Alfonso ist mit einem Bambino beschenkt worden! Philipp Alarich!"
"Schon jetzt, schon kurz nach seinem eigenen Geburtstag", strahlte Lucia zurück, während Leonardo auf sie zutrat, immer näher, so nah, dass sie sonst zurückgewichen wäre, doch diesmal blieb sie standhaft.
Darauf schaute er sie mit immer goldener werdenden Augen an, bis sie die Lider niederschlug
"Komm", forderte Leonardo sie mit angehobenen Armen auf, "nur einen kleinen Schritt, hm? - Perfavore, nur einen winzigen Schritt auf mich zu."
Sie rührte sich nicht und sah bald trotz ihres gesenkten Blicks, wie er seine Arme wieder fallen ließ. Darauf brachte sie leise über die Lippen: "Ich will dich nicht kränken, es ist nur so - ich kann nicht anders."
"Aber weshalb, Lukas? Was habe ich angerichtet?"
"Du doch nicht, es liegt an mir selbst. Ich komme nicht mehr zurecht. Meine Mutter hat mich über das Schicksal der Bellesigni aufgeklärt, Leonardo, das du damals als Makel bezeichnet hast und deshalb - jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich dir begegnen soll."
Diese Erklärung traf ihn so tief, dass er keinen Ton hervorbringen konnte. Erst als Lucia schon glaubte, keine
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