Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Fabrikationsgebäude weiß anstrichen. Es stimmte sie heiter, mit anzusehen, wie dieses verschmutze Beige der Hauswände unter dem blütenweißen Anstrich verschwand, als verleihe der Frühling der Fabrikation frisches Leben. Lucia stellte sich alle Werksgebäude in weiß vor, doch richtig erfreuen tat sie dieser Anblick erstaunlicherweise nicht, sie vermisste etwas - aber was? Um es zu erkunden, lauschte sie in sich hinein und fand bald die Antwort - Wärme und Wohlwollen, also tiefes Rot. Und sie erkannte noch mehr, alle Türen und Leisten der Sprossenfenster sollten in diesem Farbton, passend zu den roten Ziegeldächern der Werksgebäude, lackiert werden. Ja, so gefiel ihr das, auf dem grünen Hügel weiß-rote Gebäude, ein einladendes Bild.
Erfüllt von diesem Gedanken, begab sie sich sogleich in die Lagerhalle und suchte dort unter den Lackdosen den richtigen Farbton aus, ein Rot, das etwa drei Töne dunkler sein musste, als die Dachziegeln. Dann hatte sie die richtige Dose gefunden, sie trug in der entsprechenden Farbe die Aufschrift 'Mahagonirot'. Sie musste lächeln - meine Haarfarbe. Rund zwanzig Dosen werden wir brauchen, errechnete sie, wobei sie das Herrenhaus mit einbezog, das ebenfalls ein freundliches Gesicht erhalten soll.
Anschließend bat sie Herrn Adam, diese Anzahl beiseite stellen zu lassen.
Selbst tags drauf an ihrem vollbeladenem Schreibtisch gingen Lucia weder Leonardos Brief noch ihre Rosenkreuzdarstellung aus dem Kopf. An sich wollte sie sich heute den drei Zunfthütern widmen, die alle Abteilungen des Kontorhauses durchforsteten, auch wollte sie nachsehen, wie weit Herrn Adams Karteiführung für die Vorgabe der Produktion gediehen sei, die sie ihm aufgetragen hatte, doch für beides war ihr Kopf nicht klar genug. Um sich endlich von ihren aufdringlichen Gedanken zu befreien, entspannte sie sich, richtete ihr Bewusstsein nach innen und bald empfing sie einen Hinweis - schicke die Studie Leonardo. - Danke für diese Eingebung, richtete sie an ihr Inneres. Gleich drauf erhob sie sich und begab sich dann fröhlichen Schrittes zum Bellwillhaus.
In ihrer Guten Stube verfasste sie einen Brief an Leonardo, legte ihn zu dem Bild, verpackte alles und gab die kostbare Fracht dann bei der Poststation auf.
Nach ihrer Rückkehr nahte bereits der Mittag, weshalb sie nicht zum Werk, sondern zum Wohnhaus ging. Doch bevor sie es betrat, betrachtete sie es von außen und stellte es sich mit weißem Anstrich und tiefroten Türen und Fensterrahmen vor. - Nein, schüttelte sie den Kopf, das passte nicht, zu den Werksgebäuden wohl, nicht aber zu diesem Bauwerk. Ihm müsste man seinen Trutz nehmen, sein Anblick soll so frisch und beschwingt werden, dass es endlich jeder gerne betritt. Und das kann man nur mit einem ganz hellen Gelb erreichen, mit einem weißlichen Gelb - Lichtgelb. Dazu dann weiße Fensterrahmen und Türen, und auch die Säulen am Vorder- und Seiteneingang sollen weiß werden. Dann sehe das Haus wenigstens von außen sauber aus. Gegen seine inwendige Verschmutzung allüberall hatte sie bisher noch nichts ausrichten können. Als sie Madame de Lousin darauf angesprochen hatte, hatte sie nur verständnislose Blicke von ihr geerntet, wahrscheinlich, weil es in kaum einem anderen Haus sauberer aussah. Lucia indes kannte gepflegte Gebäude, die da Vinci-Bottega beispielsweise, auch Meister Rodders Fabrikation und in letzter Zeit unter ihrem Einfluss sogar das Kontorhaus. Wie sie nun weiterhin an den grauen Fassaden hochblickte, kam Vera aus dem Portal und dann die Treppe herab auf sie zu, mit der Frage: "Na? Willst du dein Haus bemalen?"
Lucia verneinte lachend und nannte Vera ihre Farbidee.
Lichtgelb und weiß, das gefiel auch Vera, die diese Gelegenheit nutzte, um Lucia nahe zu legen, endlich ihr Wohnreich mit einer Tür abzugrenzen, es sei doch gewiss unangenehm für sie, stets über den offenen Korridor gehen zu müssen, wenn sie von einem ihrer Räume zum anderen wolle. Damit hatte sie zwar recht, und diese kleine Baumaßnahme wäre auch kein Aufwand, da Lucias Räume alle rechts und links des hinteren Korridors lagen. Doch sie scheute die Geldausgabe.
Vera erleichterte Lucia ihre Geldsorgen: "Ich habe dein Haus in der Passerstrasse so gut wie verkauft, Lucia, unser Bankier Ernstein will es erwerben."
"Oh, Vera, wie schön! Ist denn für dieses Haus ein annehmbarer Preis zu erzielen?"
"Sicher doch, schon wegen seiner zentralen Lage, außerdem verfügt es über eine solide Bausubstanz. Ich führe
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