Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
tagelangen Abwesenheiten trifft er sich manchmal mit seinen Bundesbrüdern, von denen ihn einige auch schon hier im Palazzo besucht haben. Daher weiß ich von alledem. Als er im vergangenen Sommer mit zwei von ihnen in seinem Privatatelier gesessen hat, habe ich vom Hofgarten her mit angehört, wie sie über die hohe Symbolik der kreuzförmig ausstrahlenden Rose gesprochen haben. Ich habe nicht lauschen wollen", erklärte er verschämt, "habe aber auch nicht weghören können."
"Das wäre mir ebenso ergangen, Carlo."
"Nett, dass du das sagst. Lukas, womöglich bist auch du schon diesen Herren begegnet, denn sie übernachten mitunter hier in den Suiten."
Das konnte Lucia nicht beurteilen, da häufig Besucher hier nächtigten, während der Schlossfeste auch Gäste des Herzogs, in dessen Besitz der Palazzo stand. Doch von nun an will sie ein genaueres Auge auf die Gäste werfen, vielleicht wird es ihr ja eines Tages glücken, diese hohen Brüder als solche zu erkennen.
Anfang Hartung kehrte Maestro Leonardo von seiner Reise zurück, völlig beseelt. Augenscheinlich hatte er Erhebendes erlebt. Noch tagelang wirkte er so abwesend, als weile er gedanklich an seinem Ferienort und fand sich auch anschließend nur allmählich wieder in den hiesigen Alltag ein.
Seine Selbstdarstellung in jenem Gemälde gab allerdings preis, dass er zwar dem Erhabenen zugekehrt war, sich indes zur Hälfte noch im Strudel des weltlichen Lebens aufhielt, mithin auch noch mit menschlichen Fehlern behaftet war. Seine auffälligsten Fehler waren, schnell aufzubrausen, mit seiner oft zu saloppen Ausdrucksweise andere zu verletzen und sich innerhalb seiner vielen verschiedenen Tätigkeiten nicht selten zu verzetteln.
Eine seiner Schwächen jedoch, sein mitunter mangelndes Selbstvertrauen, verlieh ihm einen persönlichen Reiz, und das erlebten die Artisti und Garzoni jetzt im besonderen Maß. Wie bereits früher öfter, übte er wieder ein selbst verfasstes Sonett ein, das er in wenigen Tagen auf einer Schlossveranstaltung vortragen will, weshalb nun von seinem Privatatelier her häufig sein volltönender Bariton bis hinüber ins Malatelier drang. Oh ja, der Maestro war sangeskräftig. Nur handelte es sich bei seinem jetzigen Sonett um eine Fabel, in der er den Florentiner Herzog Lorenzo, mit dem Beinamen 'der Prächtige', als einen Gockel darstellte und den hiesigen Herzog Ludovico als ein ihn bewunderndes Schaf. So hörten ihn die Artisti und Garzoni diesmal bei seinen Sangesübungen zu ihrem Ergötzen mitunter mähen und krähen. Doch so erheiternd das klang, der Text, mit dem er den hiesigen Herzog die Augen über seine Unterwürfigkeit dem Florentiner gegenüber öffnen will, war reichlich gepfeffert, ganz abgesehen davon, dass sich wohl niemand gerne mit einem Schaf vergleichen lässt. Und da der Maestro deshalb Bedenken hatte, bat er abwechselnd einen Künstler zu sich hinüber in sein Atelier, trug ihm dort diese oder jene brisante Passage vor und erkundigte sich anschließend nach dessen Urteil. Aber wie er das tat - rührend. Erst steckte er seinen blonden Lockenkopf zur Tür des Malateliers herein und fragte unsicher wie ein Schulbub: "Ist vielleicht einer von euch bereit, mich wieder kurz abzuhören?"
Und wenn er demjenigen dann die Textstelle vorgetragen hatte, wartete er ängstlich auf dessen Urteil. Auch so kannten alle ihren Maestro. Nun, nach mehrfachem Abhören rieten sie ihm, dem Text seine Schärfe zu lassen, doch die Passagen mit dem Schaf möge er statt mit Witz mit reichlich Charme vortragen, dann könne ihm Herzog Ludovico nichts verübeln.
"Meint ihr wirklich?", fragte er, worauf sie ihm zuredeten:
"Ganz gewiss, Maestro Leonardo." "Si, Maestro, nach reiflicher Überlegung sind wir zu diesem Schluss gelangt."
"Va bene", nahm er ihren Rat an, "dann werde ich das jetzt mit Charme einstudieren."
Am Abend jener Veranstaltung nahm er Carlo zur Rückenstärkung mit in den Sforzapalast, und alle Künstler wie auch Lucia verbrachten eine schlaflose Nacht. Was nicht nötig gewesen wäre, denn anderntags konnte Carlo ihnen berichten, Herzog Ludovico habe dem Vortrag teils amüsiert, teils aufmerksam gelauscht und habe dem Maestro hinterher für die Darbietung mit Handschlag gedankt.
Eine weitere Untugend Maestro Leonardos war, er begann unendlich vieles, führte davon aber nur weniges zu Ende.
Das schien jetzt auch auf die Einrichtung des Farbherstellungsraums zuzutreffen. Zwar hatte er bis Weihnachten die präzise Anfertigung der drei
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