Hexenlicht
stolperte. Wasser tropfte von Blatt zu Blatt. Holly roch das Meer; der kalte Nebel legte sich als Salzbelag auf ihre Lippen und machte ihre Wangen eisig. Über ihnen zogen dünne Wolken hinweg, die das Mondlicht abwechselnd verdeckten und enthüllten, so dass die Nebelschwaden von einem bizarren Streifenmuster durchwirkt wurden.
Alessandro blieb stehen, und Holly kippte gegen ihn. Mit einer Armbewegung bugsierte er sie hinter eines der kleinen Mausoleen, mit denen der Friedhof übersät war. Die Waffe im Anschlag, duckte Alessandro sich. Holly duckte sich ebenfalls, wobei sie sich an der körnigen Mauer abstützte.
»Was ist?«, flüsterte sie.
Alessandro zeigte mit der Waffe. Links von ihnen bewegten sich Schatten aus dem Nebel und wieder hinein. Dann lehnte Alessandro sich zurück und flüsterte ihr ins Ohr: »Ghule, und zwar keine, die nebenher College-Studenten sind.«
Zittrig holte Holly Atem. Ein Rudel Ghule war durchaus zum Fürchten. Sie brauchten nie einen Vorwand für eine Zwischenmahlzeit und würden einen einzelnen Menschen binnen Minuten restlos vertilgen. Jetzt war sie wirklich dankbar, dass Alessandro sich bewaffnet hatte.
Zweistimmiges Nebelhorngetute erklang. Holly stützte eine Hand auf Alessandros Schulter und flüsterte: »Was machen wir jetzt?«
Als er den Kopf schüttelte, strich sein Haar sanft über ihre Haut. »Wir warten ab. Normalerweise kommen sie nicht hierher. Der Friedhof liegt zu weit außerhalb. Wenn sie hier herumlungern, dann muss jemand sie geschickt haben.«
»Und das wiederum wirft die Frage auf, wer.«
Alessandro bedeutete ihr stumm, still zu sein. Die Kreaturen gingen ein Stück vor dem Mausoleum vorbei, so nahe, dass Holly ihre Umrisse vor dem monderhellten Nebel erkennen konnte. Sie fühlte, wie Alessandros Armmuskel sich unter dem Leder wölbte, als er zielte. So beruhigend es auch war, ihn zu spüren, zog Holly sich zurück, um ihm mehr Bewegungsspielraum zu geben.
Etwa ein halbes Dutzend Ghule schlich in einer dichten Traube zwischen den Gräbern entlang. Jeder von ihnen war ungefähr so groß wie ein Zwölfjähriger, schlaksig und hager. Sie hatten einen gebeugten Gang und hielten sich insgesamt sehr krumm. Zwar trugen sie größtenteils Baseballkappen und Baggy-Pants, aber keine Schuhe, denn Ghule hatten niemals Schuhe an. Ihre Finger und Zehen bestanden aus langen gebogenen Krallen, die alles Leinen oder Leder innerhalb von Sekunden durchbohren würden. Fröstelnd drückte Holly sich dichter an die bemooste Mauer und wünschte, sie hätte in die Steine kriechen können.
Dann fühlte sie, wie Alessandro sich anspannte. Wieder zeigte er, diesmal zu einer Gestalt, die sich an die Spitze der Ghulgruppe bewegte, um die Rudelführung zu übernehmen. Das war kein Ghul. Holly starrte hin und blinzelte, als könnte sie den Anblick dadurch erträglicher machen.
Hätte es sich aufrichten können, wäre das Ding so groß wie ein erwachsener Mann gewesen, aber der Rücken der Kreatur war so gebogen, dass ihr Kopf fast waagerecht nach vorn stand. Sie hatte einen breiten Brustkorb, war haarlos und praktisch nackt und lief auf eine watschelnde Art, die tiergleich war, nicht menschlich.
Vor der Ghulgruppe blieb das Ding stehen und drehte sich zu den anderen um. Es fauchte etwas und wies zur Meeresseite des Friedhofs. Die Ghule irrten orientierungslos umher, bis das Ding einem von ihnen einen Hieb aufs Ohr versetzte, so dass der Ghul im Gras landete. Dann schwenkte es seinen langen unförmigen Arm und wandte sich wieder nach vorn, um den Ghulen voranzugehen. Als fahles Licht auf die Kreatur fiel, konnte Holly sein Gesicht deutlich genug erkennen, dass sich ihr der Magen zusammenkrampfte. Das Wesen hatte weder Nase noch Mund, bloß eine horizontale schlitzartige Öffnung voller nadelspitzer Zähne. Holly duckte sich noch tiefer hinter den Stein und begann, vor Ekel zu schwitzen.
Eine unendlich lange Minute verging, bevor Alessandro etwas sagte. »Sie sind weg.«
»Was war das für ein Ding?«, fragte sie, während sie fühlte, wie ihr kalte Schweißperlen über den Brustkorb rannen.
Als Alessandro sich zu ihr wandte, blitzten seine Augen im Mondschein golden auf. »Das war ein Fehlwandler.«
»Ein Vampir?«, hauchte sie entgeistert.
Alessandro richtete sich auf und schaute sich um. »Wir erkennen sie nicht als Vampire an.«
»Wo kommen sie her? Was ist mit ihnen passiert?« Holly stellte sich vorsichtig wieder hin. Ihre Zehen kribbelten, sobald sie wieder richtig
Weitere Kostenlose Bücher