Hexennacht
jetzt nicht mehr passieren.
Diesmal würde er sie richtig sehen.
An der Schwelle zögerte er. Er murmelte ein Gebet, das seine Seele dem entsprechenden Gott empfahl, falls er hier starb, dann klopfte er.
Er hörte leichte Schritte im Haus, dann nichts mehr.
Er klopfte noch einmal.
Die Schritte kamen näher, und das Licht hinter den vorderen Fenstern ging aus.
»Ischade!« rief er rauh. Er zog einen Dolch, um damit das Schloß aufzubrechen oder um mit dem Griff auf das Holz der Tür zu hämmern. »Macht auf! Ich bin es, ich ...«
Die Tür schien zu verschwinden. Fast verlor er das Gleichgewicht, weil er gerade heftig mit dem Dolchgriff klopfen wollte. Er stolperte einen Schritt vorwärts.
»Ich weiß.« Die samtweiche Stimme kam aus einem geisterhaften Gesicht, das in Dunkelheit gehüllt war. »Ich weiß, wer Ihr seid. Ich erinnere mich an Euch. Seid Ihr es leid, den Tod zu bringen? Oder habt Ihr wieder ein Geschenk bei Euch?« Ihre Augen hoben sich zu seinen, ihre Kapuze rutschte nach hinten, und trotzdem blieb ihr Gesicht im Dunkeln.
Ihre Augen jedoch nicht.
Straton vergaß den Grund seines Besuchs. Er war kein kleiner Junge, der sich leicht beeinflussen ließ, und kein Mann, den eine Frau um ihren kleinen Finger zu wickeln vermochte, aber Ischades Blick war wie ein Zauber, der die Welt verbannte. Er wollte nichts anderes, als sie ansehen, sie berühren, der Gefahr trotzen, die sie darstellte, und etwas mit ihr tun, das keines dieser Schafe fertiggebracht hatte, die ihre Opfer geworden waren; dessen war er fast sicher.
»Bittet mich hinein«, sagte er.
»Ich habe einen Besucher«, entgegnete sie.
»Könnt Ihr ihn nicht loswerden?«
Sie lächelte. »Genau das war meine Absicht. Wartet Ihr hier?«
Er nickte. »Beeilt Euch.«
Als sie wieder hinter der Tür verschwand, war ihm, als wären Fesseln zersprungen oder als hätte die Wirkung einer starken Droge plötzlich nachgelassen.
Ihn fröstelte, dabei war es im herbstlichen Freistatt bei weitem nicht so kalt wie am Hexenwall. Trotz der Kälte, die seine Hände beben ließ, bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Oberlippe. Er wischte sie ab und bedauerte, daß er sich für dieses Unternehmen den Bart abrasiert hatte.
Entweder hatte er Glück, und ihr teuflischer Hunger war durch ihren gegenwärtigen Besucher gestillt, so daß er mit ihr reden, sie überzeugen und eine Abmachung mit ihr treffen konnte, oder aber er würde in ernste Schwierigkeiten geraten, aus denen ihm weder Crit noch irgendeiner seines Trupps heraushelfen konnte.
Als er sich gerade sagte, daß niemand es ihm übelnähme, wenn er jetzt umkehrte und behauptete, Ischade sei nicht zu Hause gewesen, öffnete sich die Tür wieder, und eine feine weiße Hand streckte sich ihm entgegen.
»Tretet ein, Straton«, forderte die Vampirfrau ihn auf. »Es ist lange her, seit einer wie Ihr zu mir kam.«
Sync hatte den berüchtigten Gewaltlord Jubal für sich aufgehoben. Die Veteranen, die Freistatt kannten, hatten ihn vor dem grauenvollen Gestank von Abwind gewarnt, aber er hatte ihnen nicht geglaubt. Jetzt tat er es, aber er verließ sich auf seinen guten rechten Arm und das verlockende Angebot, das er machen konnte.
Dieser Jubal war schwarz und stämmig wie ein knorriger Baum, dazu viel älter, als Sync aus den Erzählungen geschlossen hatte; er trug eine blaue Falkenmaske, die Sync viel mehr Kopfzerbrechen bereitet hätte, wenn die Lakaien um den ehemaligen Sklavenhändler die Identität Jubals nicht mit jeder unterwürfigen Geste bestätigt hätten.
Der oberste Speichellecker unter ihnen hieß Saliman. War man eingetreten, sah man, daß die Elendshütte verhältnismäßig geräumig war, aber die Schar vorgeblicher Bettler hier würden Sync einen anstrengenden Nachmittag bescheren, falls er sich einen Weg durch sie hindurchkämpfen mußte, um wieder hinauszugelangen. Vorsichtshalber hatte er sein Pferd nicht angebunden: Wenn er pfiff, würden ihm zwölfhundert rankanische Pfund beschlagene Hufe und schnappende Kiefer zur Hilfe kommen. Seine Ausbildung im 3. Kommando sagte ihm, daß er nicht mehr brauchte. Ein Mann wie er, ein Pferd wie seines, und die Hölle war los.
Sync war kein Politiker, er war ein Befehlshaber. Doch er war nicht in diese Abwinderhütte gekommen, um zu kämpfen, sondern um zu verhandeln.
In wallenden Federgewändern setzte Jubal sich auf einen Stuhl, der einem Thron sehr nahe kam. Durch die Maske klang seine Stimme gedämpft, als er sagte: »Sprecht, Söldner!«
Sync
Weitere Kostenlose Bücher