Hexennacht
stehen.
Erschrocken schnappte er nach Luft und duckte sich unwillkürlich. War sie etwa eine Hexe? Vielleicht gar die gefürchtete Roxane, die aus dem Krieg im Norden zurückgekehrt war? Roxane, die fast das Ende der Stiefsöhne herbeigeführt hatte und untote Sklaven aus ihren Gefangenen machte? Hatte er soeben etwa gar einen Pakt mit einer Hexe geschlossen? Lediglich durch einen flüchtigen Gedanken? Aber gewiß konnte man eine Seele nicht so beiläufig verlieren .?
Die Frau war hochgewachsen und breitschultrig, ihr Kinn wirkte so herausfordernd wie die klaren schmalen Augen unter dem rabenschwarzen Haar; die unauffällige Kleidung war von bequemem Schnitt, der ihr Bewegungsfreiheit gestattete: der Kittel wies Schlitze auf, das pludrige Ilsigerbeinkleid steckte in wadenhohen Schnürstiefeln.
»Hakiem? Ich bin Kama. Machen wir einen Spaziergang?«
»Spaziergang? Ich - warte auf jemanden - meinen Gesellen«, log er unbeholfen. War sie eine beysibische Söldnerin? Er wußte nicht, ob sie den Busen bedeckten und Beinkleider trugen. Sollte er verhaftet werden? Das gäbe eine Geschichte! »In einer beysibischen Verhörzelle« - falls er lange genug am Leben blieb, sie zu erzählen!
»Ja, ein Spaziergang.« Die Stimme der Frau klang heiser, und ein Lachen schwang mit. »Das ist für diese Art von Treffen sicherer. Und ich bin - hoffentlich - der Jemand, auf den Ihr wartet.« Sie lächelte; ihre Augen wirkten vertraut, als blicke ein alter Bekannter ihn an. Sie hielt ihm die Hand entgegen, als sei er ein Greis, den man stützen müsse! Wahrhaftig, das Selbstbewußtsein der Frauen wurde immer unerträglicher!
Unwirsch schob er ihre Hand zur Seite und stand steif auf; er hoffte, sie bemerkte seine Unbeholfenheit nicht.
»... Euer Geselle?« sagte sie wie beiläufig. »Das ist keine schlechte Idee. Ich wäre bestimmt geeignet, immerhin habe ich beim letzten Fest der Krieger den ersten Preis bekommen.«
»Den ersten Preis? Beim Fest der Krieger?« wiederholte Hakiem verblüfft. »Wie sagtet Ihr, lautet Euer Name?« Das Fest der Krieger wurde alle vier Jahre weit im Norden abgehalten. Es handelte sich um Wettkämpfe für Könige und Soldaten: Strategische Spiele fanden statt und sportliche Veranstaltungen, ein Dichterwettbewerb für Armeehistoriker und Erzähler heroischer Geschichten. Diesen Wettbewerb zu gewinnen war der Traum eines jeden Geschichtenerzählers. Doch allein, um teilnehmen zu dürfen, mußte man von einem König vorgeschlagen werden, von einer ganzen Kampftruppe oder von einem einflußreichen Lord. Wer war diese Frau? Sie hatte ihren Namen erwähnt, aber in seiner Niedergeschlagenheit, hatte er nicht darauf geachtet - nein, gib es doch zu, du wirst alt, das ist es!
»Kann ich Euch trauen, Alter? Oder habe ich nichts zu befürchten, weil Ihr bereits vergessen habt, was ich sagte?« Ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, das ihn an irgend jemand anders erinnerte. Aber an wen?
»Ihr könnt mir vertrauen«, erwiderte Hakiem bedächtig, »wenn Ihr das Herz auf dem rechten Fleck habt, Candy.« Das war der Name, den sie genannt hatte. Zumindest glaubte er, er klinge ähnlich genug, daß sie ihn berichtigen würde, wenn er nicht ganz stimmte.
Sie blickte auf ihre Stiefel und scharrte mit einem Fuß, so daß ein wenig des herbstlichen Staubes aufwirbelte. Dann hob sie den Kopf und schaute ihn an. »Ich bin Kama, vom 3. Rankanischen Kommando. Und wenn Ihr Euer Herz auf dem rechten Fleck habt, werdet Ihr mir helfen, Verbindung zu den Rebellen aufzunehmen. Wenn nicht«, sie zuckte mit den Schultern, »wird es bei euch eine Menge toter Kämpfer geben, und eure Revolution wird scheitern, noch ehe sie begonnen hat!«
»Was? Wovon sprecht Ihr? Rebellen? Ich weiß nichts von Rebellen.«
»Wundervoll! Mir gefällt Eure Einstellung, alter Mann! Ihr seid die Ohren dieser Stadt - und ihr Mund, wie manche meinen. Laßt alle die wissen, die Ihr nicht kennt, daß ich in Marcs Waffengeschäft zu finden bin, und zwar eine Stunde vor Ausgangssperre und die ganze Nacht hindurch. Ich möchte sichergehen, daß es nicht erneut zu so einem kleinen Problem kommt, wie wir es vorgestern nacht in der Straße der Roten Laternen hatten. Wenn wir mit den Beysibern aufräumen wollen, brauchen wir jeden Mann, den wir haben!«
Hakiem hatte das unbestimmte Gefühl, daß diese Kama vom 3. Rankanischen Kommando vergessen hatte, daß sie eine Frau war. »Ich kann nichts versprechen«, sagte er vorsichtig. »Ich weiß ja nur von Euch
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