Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
Beleuchtung, verschaffte
Arved ein wahres Hochgefühl. Er war nicht im Kreis gelaufen! Er
kam voran! Wie oft hatte er in seinem Leben das Gefühl gehabt,
nicht von der Stelle zu kommen. Und nun war es ihm gelungen! Voller
Hoffnung öffnete er die nächste Tür.
    Wieder ein Zimmer, wieder ein Kerzenständer. Und wieder die
nächste Tür, eine der beiden. Nie befanden sie sich
gegenüber; immer schlug Arved Haken. Er wusste schon lange nicht
mehr, in welcher Richtung er unterwegs war. Vielleicht kreiste er
sein Ziel langsam ein. Während er die nächste Tür
öffnete, fragte er sich, was das für ein Ziel sein mochte.
Oder er würde auf ewig in diesem Labyrinth umherirren, sich
immer weiter darin verirren, nie wieder hinausfinden, verloren sein.
Sein Herz raste bei diesen Gedanken.
    Wieder ein Zimmer. Verzweiflung schlug wie Wellen über ihm
zusammen. Durchbrandete ihn. Noch eine Tür. Er blieb stehen,
hatte die Klinke noch in der Hand, und überlegte, ob er aufgeben
sollte. Es hatte keinen Sinn. Hatte alles keinen Sinn. Er konnte
genauso gut hier bleiben, sich auf den Boden setzen und sein Ende
erwarten. Dennoch drückte er die Tür auf.
    Die Kerze im nächsten Zimmer war aus schwarzem Wachs.
    Wieder Hoffnung, wie ein Licht in der Dunkelheit. Ein schwarzes
Licht. Jetzt durfte er nicht aufgeben; möglicherweise war er
kurz vor dem Ziel. Mit neuer Kraft lief er los.
    Immer schneller lief er, immer hastiger riss er die Türen auf
und schlug sie hinter sich zu. Schweiß lief ihm an den Wangen
herab und er spürte, wie seine Kleidung auf der Haut klebte. Und
dann geschah es.
    Als er eines der Zimmer betrat – hier war die Kerze schon
beinahe ganz heruntergebrannt –, hatte er das Gefühl, als
sei die Tür rechts von ihm soeben geschlossen worden; ein kalter
Luftzug wehte noch durch den Raum. Er riss diese Tür auf –
und glaubte die Tür links von sich in dem neuen Raum sich gerade
schließen zu sehen. Vielleicht war es auch nur eine
Sinnestäuschung, hervorgerufen durch das Flackern des
Kerzenstummels. Trotzdem schritt er durch diese Tür.
    Die Tür rechts schlug zu. Es war keine Einbildung. Er sah es
genau. Er hörte es genau. Jemand lief vor ihm her. Er hastete zu
der Tür, riss sie auf.
    Er konnte die Dunkelheit sehen. Er sah, wie sie das Zimmer
erfüllte, in dem die erloschene Kerze stand. Und er sah trotz
dieser Dunkelheit die Gestalt neben dem Kerzenleuchter.
    Dieses Zimmer hatte keine weitere Tür als die, durch welcher
er hereingekommen war. Die Gestalt im Zimmer schien mit dünnen
Schnüren oder Auswüchsen in den Wänden verankert zu
sein; sie schwebte sogar über dem Boden, wie er
unbegreiflicherweise sehen konnte. Dann wurde das Bild trotz der
Finsternis noch deutlicher. Er erkannte, dass die Gestalt genauso
groß war wie er. Sie schwebte ein wenig über ihm, weil sie
den Kontakt mit dem Boden verloren hatte. Sie war blond; die Haare
hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie war ein wenig übergewichtig.
Sie hatte blaue Augen und einen Hundeblick. Sie trug Sandalen, eine
schwarze Hose und eine helle Windjacke.
    Sie war Arved Winter.
    Er überlegte nicht lange, als er den bittenden Blick in Arved
Winters Augen sah. Er zerrte mit bloßen Händen an den
Schnüren, an den Tentakeln, an den Fortsätzen, die aus der
Wand, der Decke und dem Boden herauswuchsen. Sie fühlten sich
widerlich ledrig und pulsierend an. Sie waren warm und wanden sich
wie Würmer unter seinem Griff. Aber er ließ nicht los. Er
riss jeden einzelnen von Arved Winter ab und trampelte auf ihnen
herum, bis sie leblos vor ihm lagen. Dann ging er auf Arved Winter
zu, der die Augen in ungläubigem Erstaunen aufriss.
    Und wurde eins mit ihm.
    Er durchdrang ihn, wie er Magdalena Meisen durchdrungen hatte.
Aber etwas war anders. Er spürte plötzlich einen
Widerstand. Etwas, das er geradezu mit Händen greifen konnte. Er
umklammerte es und hielt sich daran fest. Und dann war er in Arved
Winter, zog sich ihn an wie einen Mantel. Er atmete befreit auf.
Draußen vor dem Fenster wurde es hell. Der Morgen dämmerte
herauf. Arved trat ans Fenster und öffnete es. Eine kühle
Brise zog in den Raum. Allmählich floss Licht an den
weißen Wänden vorbei. Arved öffnete die einzige
Tür – und stand in Magdalena Meisens Wohnzimmer. Dort
saß sie, wie sie in dem Zimmer im Gasthaus bei Buchholz
gesessen hatte: den Mund aufgerissen, die Augen ins Leere starrend.
Wieder trat er auf sie zu, wieder streckte er die Hände nach ihr
aus.
    Und diesmal fühlte er sie. Spürte

Weitere Kostenlose Bücher