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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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sie. Packte ihre
Schultern und schüttelte sie durch. Sie schloss den Mund, atmete
tief durch, doch ihr Blick wurde nicht klarer.
    Dann sprach sie. »Nicht schon wieder«, flüsterte
sie. »Verlass mich nicht schon wieder. Wir haben es doch so
schön. Warum musst du denn ausgerechnet jetzt gehen? Nicht schon
wieder.« Sie stöhnte, hob die Hände, als wolle sie
jemanden festhalten, ließ sie wieder sinken. Kraftlos lagen sie
auf den Lehnen des Bauhaussessels.
    »Magdalena«, sagte Arved leise, aber fest. »Ich bin
es. Arved Winter. Der Priester. Wachen Sie auf.«
    »Ich bin wach. Bin immer wach. Kann nicht schlafen. Muss
alles sehen. Wie er mich betrügt. Und wie Alexander mich
betrügt. Und wie Jonathan mich verlässt. Und immer bin ich
die, die zurückbleibt. Immer. Und Jürgen. So viele
Hoffnungen. Aber er hat mich auch verlassen. Verlass mich nicht!
Nicht noch einer darf mich verlassen!«
    Sie schaute ihn immer noch nicht an und er wusste nicht, ob sie
mit ihren Worten ihn meinte. Er schüttelte sie noch einmal und
spürte, wie sie sich versteifte. Zum ersten Mal bewegte sie die
Augen. Schaute in Arveds Richtung. Durch ihn hindurch. Sah ihn
nicht.
    Sie krümmte sich wie unter starken Schmerzen im Sessel
zusammen und presste die Hände gegen die Schläfen.
»Bitte geh nicht. Ich flehe dich an, verlass mich
nicht.«
    »Magdalena! Ich verlasse dich nicht. Ich bin bei dir. Ich
bleibe bei dir.«
    »Nein, das sagst du nur. In Wirklichkeit wirst du mich
verlassen. Wie alle. Ich halte das nicht mehr aus. Immer diese
Demütigungen. Nur ein Stück Dreck, das man einfach so
wegwirft!« Sie ballte die Hände zu Fäusten zusammen
und schlug sich gegen die Stirn. »Bin ich das? Ein Ding, das man
benutzt und nach Gebrauch entsorgt? Nur ein elendes Stück
Dreck?«
    Arved trat vor sie und packte ihre Arme. »Sieh mich an! Ich
bin hier!«, brüllte er. Sie drehte den Kopf fort. Doch in
ihren Augen flackerte etwas. Er überwand sich und ohrfeigte sie.
Es half nichts. Dann tat er etwas, von dem er selbst nicht wusste,
warum er es tat. Er brachte seinen Mund ganz nah an ihr Gesicht und
hauchte sie an. Das Flackern in ihren Augen verstärkte sich. Sie
blinzelte. Erkannte ihn. Schlang die Arme um ihn und drückte
sich ganz fest und Hilfe suchend an ihn. Sie sagte kein Wort.
    »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte er,
während er sie in seiner klammerartigen Umarmung hielt.
    »Wohin?«, flüsterte sie. »Es gibt keinen
Weg.«
    »Es muss einen geben.«
    »Jürgen…«
    »Was ist mit ihm?«
    Sie sah ihn an; jetzt schien sie ganz sie selbst zu sein.
»Ich habe ihn gesehen. Er ist auch hier. Wir müssen ihn
mitnehmen.«
    »Wo ist er?«, fragte Arved und machte sich sanft aus
ihrer Umarmung frei.
    »Ich habe ihn in meinen Visionen gesehen. Er hat mich
verlassen. Immer wieder. Wie die anderen. Wie jeder.«
    Arved schaute sich um. Alles wirkte so normal. So gewöhnlich.
Er roch das Büffelleder des teuren Sofas, sah die Bauhaussessel,
den chinesischen Teppich mit dem wunderbaren Königsblau. Alles
war wie bei seinem ersten Besuch hier. Und doch lagen Welten
dazwischen. Sein Denken schwamm wie in dunklen, unterirdischen
Kanälen. Er konnte sich an alles erinnern, an jede Einzelheit,
und doch passte nichts mehr zusammen.
    Labyrinth.
    Man glaubt die Wege zu kennen, doch es sind nicht die gleichen;
sie führen nur scheinbar zum Ziel. Und auch das Ziel ist nicht
das, was es zu sein vorgibt.
    »Wo hast du ihn gesehen?«
    »Ich… ich weiß es nicht.« Sie schüttelte
verzweifelt den Kopf. »Es war so dunkel. Ich weiß nicht,
wo es gewesen ist. Da war in der Ferne ein riesiger Baum und eine
Mauer mit einem Durchgang davor. In einer Minute war ich hier, dann
wieder woanders. Es hätte überall sein können. Zuerst
habe ich gar nicht begriffen, dass er es war. Er hatte Pflaster vor
den Augen, oder sie waren zugenäht. Ich weiß es nicht. Er
hat mich nicht erkannt. Er hat nichts erkannt. Aber er hat wie in
Qualen gestöhnt. Er hat mir so Leid getan. Und ich konnte nichts
für ihn tun, denn dann war ich schon wieder fort. In einem
Gasthaus, glaube ich. Vor weißen, verhüllten Gestalten.
Und dann in diesem Zimmer. Ich weiß nicht mehr, wie ich hierher
gekommen bin. Wahrscheinlich bin ich gar nicht hier. Aber jetzt ist
es besser. Ich habe viele Jahre in dem Gasthaus gelebt. Habe sie alle
wiedergesehen. Und sie alle haben mich verlassen. Wieder verlassen.
Immer wieder. Weißt du, wie weh es tut, verlassen zu
werden?«
    Arved streichelte ihr die

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