Hexennacht
lächerlich wie der eines Clowns war. Die
Zunge hing ihm aus dem Mund und er schielte. Angeekelt wandte sich
Arved ab.
Und sah etwas hinter ihnen forthuschen.
Er zupfte Magdalena am Kleid. Sie wirbelte herum. Und hatte es
ebenfalls gesehen. »War das diese Frau?«, fragte sie
leise.
Arved zuckte die Achseln und lief los.
Magdalena eilte sofort hinter ihm her. »Warte doch! Lass mich
nicht allein!« Ihre Stimme wurde hysterisch.
Arved beachtete sie nicht, sondern verfolgte die Gestalt, deren
Schatten er an der Kapelle vorbeischwirren sah. Die Person konnte
Lydia sein; sie war sehr klein, aber äußerst flink. Sie
verließ den Friedhof, eilte quer über den Vorplatz der
Abtei und verschwand in einem der kleinen seitlichen Turmportale.
Arved drehte sich um und wartete, bis Magdalena zu ihm aufgeschlossen
hatte. Dann tauchten sie ein in die mitternächtliche Kirche.
Sie wurde von sechs Kerzen am Altar spärlich erhellt. Die
Gestalt hastete den Mittelgang entlang und auf die Vierung zu. Sie
schien zu humpeln. Nein, das war nicht Lydia Vonnegut. Arved und
Magdalena holten auf. Sie sahen, wie der schwache Kerzenschimmer
über die Gestalt hüpfte, die feucht zu glänzen schien.
Sie lief an dem Sarkophag des heiligen Matthias vorbei, sprang die
wenigen Stufen zum Altar hoch und setzte sich auf ihn. Ihre Beine
baumelten herunter und sie stützte sich mit den Händen auf
der Mensa ab.
Das war kein Mensch.
Die Beine waren dürr und grotesk verdreht, die Arme
ebenfalls, und der Leib war dick wie ein Fass. Darauf saß, ohne
dass ein Hals sichtbar gewesen wäre, der Kopf eines riesigen
Ochsenfrosches. Das Maul war zu einem schrecklichen Grinsen
verzerrt.
Arved und Magdalena hielten gleichzeitig an, wagten sich nicht
mehr zu rühren. Hinter dem Wesen regte sich etwas. Arved schaute
hoch zu dem mittleren Apsisfenster – dem berühmten
Bleiglasfenster des Wilhelm von der Eifel, das dieser im Jahre 1515
geschaffen hatte. Die Figuren der Kreuzigungsszene bewegten sich,
waren in einem langsamen Tanz befangen. Arved kniff die Augen
zusammen. Er konnte nur wenige Einzelheiten erkennen. Aber es war
nicht das fromme Thema, das er so gut kannte. Es war eine Blasphemie.
Ein umgekehrtes Kreuz. Eine schwankende Gestalt, die es umarmte.
Zerfließende Formen.
»Hübsch, nicht wahr?«, quakte das Froschwesen und
grinste breit.
»Wo ist mein Mann?«, platzte Magdalena heraus.
Das Froschwesen sah sie mit starren Augen an. »Was suchst du
den Lebenden bei den Toten?«, fragte es.
»Wer bist du?«, wollte Arved wissen.
»Ich bin, der ich nicht bin«, antwortete das Wesen
rätselhaft.
Arved wagte nicht, näher zu kommen. Er stand links von dem
Sarkophag. Magdalena hatte sich an ihn gedrückt und seine Hand
ergriffen. Ihre langen Nägel gruben sich in sein Fleisch.
Schatten legten sich über die Glasfenster in der Apsis. Das
Froschwesen schaute sich um und schaukelte dabei mit den Beinen. Es
konnte den Kopf ganz nach hinten drehen, ohne dabei den Körper
zu bewegen. Die Kerzen blähten sich auf, die Flammen wurden
heller und beleuchteten mehr von dem Altarraum und den Fenstern. Das
Chorgestühl warf phantastische Schatten. Schatten, die sich
bewegten. Genau wie die Fenster. Wesen mit gewaltigen Flügeln
erschufen die Schatten; Wesen mit Krallen an den Fingern und
Bocksfüßen. Hoch oben im rechten Fenster erschien der
Mond. Er beschien einen Baum, der sich im Wind neigte. Es war ein
ähnlicher Baum wie draußen neben der Kirche die gewaltige
Linde. Doch unter dem Baum befanden sich Geschöpfe wie
Albträume. Schwingen sirrten und erfüllten das Innere der
Kirche mit einem leichten, andauernden, fauligen Lufthauch. Bizarre
Giebel, wie ein architektonischer Nachtmahr, warfen verzerrte
Schatten auf die mondhelle Umgebung. Der Mond ging unter und eine
dunkle Sonne erhob sich hinter den Giebeln, Säulen, Pilastern
und Simsen.
»Ihr könnt nicht finden, wenn ihr nicht an der richtigen
Stelle sucht«, sagte das Froschwesen. Plötzlich schoss
seine Zunge aus dem Maul hervor und fing ein kleines, weißes,
elfenartig zartes Ding ein, das fast unsichtbar über dem Altar
geschwebt hatte. Der Froschmensch fuhr die Zunge blitzschnell wieder
ein, schmatzte zweimal und fuhr fort: »Ich kenne jemanden, der
weiß, was ihr sucht. Aber sie ist schwer zu finden.«
»Lydia«, entfuhr es Arved. »Es ist Lydia, nicht
wahr?«
»Namen sind lächerlich«, sagte das Froschwesen.
Seine Stimme sank zu einem Zischen herab, das sich in dem hohen
Gewölbe brach.
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