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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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»Namen haben keine Wahrheit und keine
Wirklichkeit. Sie, die Wächterin dessen, den ihr sucht, findet
ihr zwischen den Toten.«
    »Ist sie hier?«, fragte Arved. Der Kerzenschein spielte
auf dem Altar und enthüllte Risse und Brüche.
    »Hier… dort… das ist gleichgültig. Nein, hier
ist sie nicht. Sie ist dort.«
    »Wo?«, fragte Arved.
    »Dort, wo sie hingehört. Dort ist sie am liebsten. Nein,
dort ist sie auch nicht. Ich habe euch angelogen.« Das Ding
lachte glucksend. »Aber dort werdet ihr etwas erfahren. Dort
wird man euch helfen.« Das Froschwesen schlug die
lächerlich kurzen Beine mit Mühe übereinander und
lehnte sich auf der Altarplatte zurück.
    »Können wir ihm vertrauen?«, flüsterte
Magdalena Arved ins Ohr.
    »Natürlich nicht«, antwortete das Froschwesen.
»Hier kann niemand dem anderen vertrauen. Das ist auch der
Grund, warum ich euch helfe. Ich habe mit der Person, die ihr sucht,
noch eine Rechnung zu begleichen. Ich werde mich nicht dazu
herablassen, es selbst zu tun. Das wirst du für mich tun, Arved.
Und nun geht. Es bleibt euch nicht mehr viel Zeit. Wisst ihr, wie es
ist, wenn man die Augen verschlossen hat, sodass man nur noch in sich
selbst hineinsehen kann? Das ist die schlimmste aller Qualen. Ihr
habt bisher nur einen schwachen Widerschein davon erfahren. Und nun
geht. Es ist ein weiter Weg. Geht dorthin, wo der Weg begonnen
hat.«
    Das Froschwesen hüpfte vom Altar und watschelte durch die
Apsis zu einer kleinen Tür mit einem gotischen Spitzbogen. Die
Tür schloss sich mit einem lauten Knall hinter ihm, der lange
durch die mitternächtliche Kirche hallte. Arved lief durch den
Chorraum und rüttelte an der Tür, aber sie war
verschlossen.
    Magdalena kam auf ihn zu, stellte sich hinter ihn und
flüsterte ihm ins Ohr: »Was hat er gemeint?«
    Arved drehte sich zu ihr um und kratzte sich am Kinn. »Ich
bin mir nicht sicher. Er hat gesagt: ›Dort, wo sie
hingehört.‹ Damit kann er eigentlich nur den Friedhof
gemeint haben. Sie wurde auf dem Städtischen Friedhof an der
Herzogenbuscher Straße beerdigt. Ich war dabei, wenn auch nicht
in meiner Funktion als Priester. Das hatte sie sich verbeten. Aber
ich weiß, wo ihr Grab ist.«
    »Was sollten wir dort erfahren?«, hauchte Magdalena.
    Arved zuckte die Achseln und schaute zurück zu den sechs
Kerzenleuchtern. »Ich habe keine Ahnung«, gestand er
leise.
    »Trotzdem sollten wir uns auf den Weg machen. Es bleibt uns
nichts anderes übrig. Wir müssen alles versuchen«,
sagte Magdalena nervös. »Du hast gehört, wie das Wesen
gesagt hat, Jürgen habe verschlossene Augen und leide stark. So
habe ich ihn auch gesehen. Es stimmt also! Wir müssen etwas
unternehmen. Komm.« Sie zerrte an seiner Windjacke.
    Er gab nach. Nebeneinander schritten sie durch den Hauptgang und
verließen die Kirche. Draußen schien die Dämmerung
allmählich einzusetzen; ein grauer Schleier lag über dem
Schwarz der Nacht. Immer noch war niemand zu sehen. Als Arved an der
Kreuzung Abteistraße und Matthiasstraße eine
Bushaltestelle sah, wollte er Magdalena zuerst auf sie aufmerksam
machen, doch dann begriff er, wie sinnlos es war, in dieser
menschenleeren Stadt auf einen Bus warten zu wollen.
    Es war ein weiter Weg bis zu dem großen Friedhof im Norden
Triers. Sie gingen die Saarstraße hinunter, die sich
schrecklich zog. Nirgendwo war jemand zu sehen; kein Auto fuhr.
Selbst als sie nach schier unendlich langer Zeit die Südallee
und die kurz dahinter liegende Kaiserstraße überquerten,
blieb alles totenstill. Das Grau hellte sich nicht auf; es war keine
richtige Dämmerung, eher ein nicht eingehaltenes Versprechen.
Als sie bereits in der Grabenstraße waren und sich dem
Hauptmarkt näherten, blieb Arved plötzlich stehen.
Magdalena sah ihn verwundert an.
    »Hörst du das auch?«, fragte er leise, als
fürchte er, die Stille zu zerreißen.
    Magdalena schaute sich um und legte den Kopf ein wenig schief. Wie
pastoral, dachte er plötzlich und musste unwillkürlich
grinsen. Dann schüttelte sie den Kopf und sah ihn fragend
an.
    »Ich hatte geglaubt, Stimmen zu hören. Sehr weit
entferntes Rufen und auch Schritte. Fast so etwas wie der Lärm
von Passanten und Touristen, der sonst immer hier herrscht.«
Arved zuckte die Achseln. »Ich habe mich wohl
verhört.« Er ging weiter.
    Das alte Marktkreuz ragte wie ein Galgen aus dem unbelebten Platz
hervor. So hatte Arved ihn noch nie gesehen. Alle Häuser waren
dunkel; selbst im Restaurant Zum Domstein brannte kein

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