Hexennacht
wollte sie von dort
vertreiben, aber als er eintrat, waren sie nirgendwo mehr zu sehen.
Sie schienen sich aufgelöst zu haben wie Jürgen Meisen in
seinem abscheulichen Traum. Er kleidete sich rasch an und ließ
die Schlafzimmertür einen Spalt breit offen stehen.
Er wollte frühstücken, aber er hatte nichts im Haus.
Also ging er nach draußen. Palmatiusstraße,
Alkuinstraße, vorbei an den kleinen Häusern, die einen
schwachen Eindruck von achtzehntem Jahrhundert hinterließen,
der sofort wieder durch einige Neubauten und eine Druckerei auf der
anderen Seite zerstört wurde. An der Ecke
Maximinstraße-Petrusstraße befand sich eine Bäckerei
mit angeschlossenem Stehcafe. Er war noch nie hier gewesen, hatte es
bisher nicht nötig gehabt, und dachte ein wenig wehmütig an
Frau Köster und ihre wunderbaren Frühstücke
zurück. Eier, Kaffee, Brötchen, Wurst, Quark, Käse,
Marmelade, Orangensaft – vorbei.
Eine kleine Klingel kündigte ihn an. Er ging zur Theke,
bestellte einen Kaffee, ein Croissant und ein Töpfchen
Marmelade. Er bekam alles auf ein Tablett gestellt, das er mit zu
einem der hohen Stehtische nahm. Ohne Appetit aß er. Doch der
Kaffee war gut und munterte ihn ein wenig auf.
Er machte sich Sorgen um die Meisens. Hoffentlich hatten sie eine
gute Nacht verbracht.
Als er sein Frühstück beendet hatte, ging er wieder nach
draußen. Der Regen des vergangenen Abends hatte sich verzogen
und weiße Wölkchen tupften den Frühlingshimmel.
Erster Mai. Die Walpurgisnacht, die Hexennacht war vorüber. Die
Albträume sicherlich auch. Er schlenderte zurück zu seinem
Haus, betrachtete es von außen und freute sich zum ersten Mal
ein wenig an der französischen Anmutung des Gebäudes, an
den hohen Sprossenfenstern, dem dichten Efeu, der weißen
Tür mit dem halbrunden Oberlicht und dem kleinen Vorbau sowie an
dem weit heruntergezogenen, offenbar erst kürzlich gedeckten
Dach mit den anheimelnden Gauben. Ja, es war Zeit für eine
weitere Ausfahrt mit dem hochherrschaftlichen
Bentley-Coupé.
Arved holte die Schlüssel und fuhr los. Nachdem es ihm
gestern nicht gelungen war, den Tag zu genießen, nahm er sich
vor, sich das Heute nicht verderben zu lassen.
Auch nicht durch den Gedanken an seine Suspendierung.
Schließlich hatte er sie beinahe absichtlich
herbeigeführt. Und die Vorsehung – der Zufall? – hatte
ihn mit Vermögen und einem schönen Haus und Automobil
versehen. Was wollte er mehr? Er würde nach Wittlich fahren, den
Meisens einen kurzen Besuch abstatten und es sich dann gut gehen
lassen. Ganz allein, ohne jede Störung.
Die Fahrt gefiel ihm. Der Wagen schnurrte über die Autobahn
und heute kamen ihm die Blicke der anderen Fahrer nicht mehr
neidisch, sondern anerkennend vor. Er freute sich. Genüsslich
sog er den Geruch des alten Leders und Holzes ein und ließ den
Blick über die lange Motorhaube bis zu dem geflügelten B auf dem Kühler gleiten. So etwas hätte er, der
schon immer an alten Autos großen Gefallen gefunden hatte, sich
niemals leisten können. Wie hätte das auch ausgesehen: ein
Pastor mit einem Bentley! Es wurde erwartet, dass man all das von
seinem Vermögen spendete, was man nicht unbedingt zum Leben
brauchte – wobei der Begriff Leben natürlich dehnbar
war.
Als Arved in die Auffahrt zum Krankenhaus einbog, senkte sich ein
leichtes Dunkel auf ihn. Heute parkte er nicht vor der Notaufnahme,
sondern stellte den Wagen auf den Besucherparkplatz. Er erinnerte
sich, dass Magdalena Meisen im zweiten Stock lag, Zimmer 211. Er ging
mit schnellen Schritten durch das Foyer und fuhr mit dem Aufzug hoch.
Das Zimmer hatte er schnell gefunden; im Sonnenschein wirkte sogar
der Gang davor nicht mehr ganz so trostlos. Er klopfte, und als er
nichts hörte, trat er ein.
Im zweiten Bett, hinten am Fenster, lag eine alte Frau. Sie sah
ihn erstaunt an. Das erste Bett war leer und frisch.
»Verzeihung«, sagte Arved verwundert. »Ich suche
Magdalena Meisen. Gestern hat sie noch hier im ersten Bett gelegen.
Wissen Sie, wo sie ist?«
Die alte Frau lächelte ihn freundlich an. »Das
Mädchen? Ja, eine sehr Nette. Schade, aber da ist was passiert.
Ganz schlimme Sache. Am besten fragen Sie die Schwester.«
7. Kapitel
Arved lief hinaus auf den Flur. Es war keine Schwester zu sehen.
Alle Türen zu den Patientenzimmern waren geschlossen. Kein Licht
zeigte an, dass jemand vom Personal in einem der Zimmer steckte.
Arved rannte den Gang auf und ab. Es war, als sei er allein auf der
Station. Am
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