Hexennacht
Vonneguts Mann genächtigt hatte. Hier war der Geruch am
schwächsten; dennoch hatte er bisher keine Nacht gut geschlafen.
Die anderen, nur spärlich möblierten Räume
beherbergten vorübergehend Arveds Reliquiensammlung, die er seit
seiner Zeit als Theologiestudent zusammengetragen hatte und von der
er sich bisher nicht hatte trennen können, denn sie war von
hohem kunstgeschichtlichen Wert, auch wenn sie für ihn keine
spirituelle Bedeutung mehr hatte.
Im Erdgeschoss befanden sich die Bibliothek, das Wohnzimmer und
ein Esszimmer, das er wohl kaum je benutzen würde, da er nicht
kochen konnte. Und natürlich die Küche. In ihr
fütterte er immer die Katzen; dort störten ihn die
Fressnäpfe und Wasserschälchen am wenigsten. Die
Katzentoilette hatte er in einen Spind gestellt, der von der
Küche abging und unbenutzt war. Am meisten ekelte er sich vor
dem täglichen Säubern des Katzenklos, und jedes Mal fragte
er sich, ob diese Abscheulichkeit die Erbschaft wert sei.
Auch jetzt näherte er sich der Küche mit einem unguten
Gefühl im Magen. Er holte aus einem der Einbauschränke, die
Lydia Vonnegut kurz nach dem Tod ihres Mannes angeschafft hatte,
einen blauen Abfallsack, schlich hinüber zum Klo, öffnete
die Abdeckung und versuchte fortzuschauen, während er den Inhalt
in den Sack kippte. Dann spülte er die große
Plastikschüssel aus, schüttete frisches Streu hinein und
stellte sie wieder an ihren angestammten Platz. Er brachte den Sack
in die Mülltonne und füllte danach die Näpfe mit
Trockenfutter auf. Keine der beiden schwarzen Katzen war zu sehen.
Arved ließ die Küchentür einen Spalt breit
geöffnet, damit die Tiere kommen und gehen konnten, wann sie
wollten. Er löschte das Licht in der Küche und schlich
über die knarrende Treppe nach oben.
In seinem Schlafzimmer zog er sich rasch aus, verschwand dann im
angrenzenden kleinen Bad, dessen Einrichtung noch aus den
fünfziger Jahren stammte, und versuchte sich die Ereignisse des
Tages vom Körper zu waschen.
Als er in seinem Bett lag, die eigenen Laken über den Kopf,
den eigenen schwachen Geruch in der Nase, versuchte er zu sich
zurückzufinden. Draußen war alles still, nur einmal
hörte er leise, krallenbewehrte Katzenpfoten auf dem
Holzfußboden klacken. Die Geräusche brachen vor seiner
Tür ab und es war ihm, als höre er Schnüffeln. Dann
liefen die Pfoten weiter.
Ob sie litten? Ob sie bemerkten, dass ihre Herrin fort war? Ob sie
so leidensfähig wie Menschen waren? Plötzlich stellte Arved
verwundert fest, dass die beiden flüchtigen Wesen ihm ein wenig
Leid taten. Nicht nur er hatte sein gewohntes Leben verloren, sondern
auch sie – und zwar ohne eigene Schuld. Alle drei waren sie
Entwurzelte. Er sollte mehr Mitgefühl für die beiden
aufbringen. Irgendwann.
Seine Gedanken kehrten zu den Ereignissen des Abends zurück.
Wie mochte es Magdalena Meisen nun in ihrem Krankenbett ergehen? Und
wie ihrem Mann? Arved wälzte sich unruhig hin und her und fand
keinen Schlaf. Schließlich ging er wieder hinunter. Die Katzen
hörten ihn und liefen aus der Halle weg in Richtung Küche.
Er hörte nur ein Fauchen und ein Klacken, dann war wieder alles
totenstill.
Arved legte eine Platte mit Frank-Sinatra-Liedern auf und
versuchte abzuschalten. Er ging in dem dunklen Zimmer umher, dessen
zwei Fenster vom Efeu halb überwuchert waren – wie fast
alle Fenster in dem finsteren, feuchten Haus. Nur spärliches
Licht einer Straßenlaterne drang herein. Die Stereo-Anlage
wetteiferte mit Grün und Blau. Sinatras rauchige Stimme
füllte den Raum.
Arved versuchte sich vorzustellen, dass er nun hier wirklich zu
Hause war. Hier stand sein englisches Stoffsofa mit den Vögeln
und Blumen auf dem Bezugsstoff, hier stand sein
Mahagoni-Sekretär mit den alten Ausgaben der Werke von Trakl und
Benn, seinen Lieblingsdichtern, hier stand die Art-Deco-Vitrine, die
wie ein Holz gewordenes Omega aussah und Bücher über
Reliquien und Reliquiare enthielt, von denen er einige
Prunkstücke ebenfalls in diesem Raum aufgestellt hatte: das
Kopfreliquiar des heiligen Pamphilius, des gelehrten Bischofs von
Sulmona, weiterhin das Armreliquiar der heiligen Eulalia, das
große Kreuz mit den Knochensplittern der Heiligen Ambrosius,
Thomas de Aquino, Hieronymus und Gregors des Großen und etliche
andere Stücke aus Gold, Silber, Ebenholz und Elfenbein. Noch
immer schätzte er die Eleganz und die handwerkliche Perfektion
dieser Kunstwerke, doch ihre spirituelle Dimension war ihm
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