Hexennacht
Ihnen. Ich glaube, es ist besser,
wenn Sie jetzt nach Hause fahren. Sie können hier nichts mehr
tun. Wir alle sind Ihnen für Ihre Hilfe und Ihren Einsatz sehr
dankbar.« Er streckte Arved die Hand entgegen.
Als sich Arved von dem Arzt verabschiedet hatte und auf dem
neonhellen, verlassenen Weg zur Notaufnahme war, vor der noch immer
sein Wagen stand, beschlich ihn ein Gefühl, als schreite er
durch ein dunkles Labyrinth. Er begriff nicht, was um ihn herum
geschah, und fühlte sich plötzlich schrecklich einsam. Es
war beinahe wie in einem Albtraum. Er dachte an das Haus im Wald und
die seltsamen Zeichen auf dem Boden. Walpurgisnacht. Die Nacht der
Hexen und Geister. Was war in dieser Hütte vorgefallen? Was war
das für ein Strauch gewesen, von dem Jürgen Meisen gekostet
hatte?
Beinahe wäre er mit jemandem zusammengestoßen.
»Entschuldigung«, murmelte er und schaute auf.
Vor ihm stand eine kleine Gestalt mit einer Kapuze auf dem Kopf.
Ihr Gesicht war nicht zu sehen. Als sie sich wortlos regte, ging von
dem Umhang ein unangenehm süßlicher Geruch aus. Arved
fror. Seine Haut brannte an der Stelle, wo sie mit dem Umhang in
Berührung gekommen war. Dann schaute er sich um. Nichts
Außergewöhnliches war zu sehen. Die Gestalt verschwand
hinter einer Tür mit der Aufschrift Intensivstation. Zutritt
verboten.
Arved schüttelte den Kopf und versuchte wieder klar zu
denken.
Walpurgisnacht.
Vielleicht war es nur ein Scherzbold gewesen, vermutlich einer der
Assistenzärzte, der den Schwestern Angst einjagen wollte.
Arved verließ das Krankenhaus, ging zu seinem Wagen und
ließ sich schwer in das Lederpolster fallen. Der schlimme
Geruch zog nur noch ganz schwach durch den Innenraum. Er öffnete
beide Seitenfenster und fuhr aus der Einfahrt. Bald begann es wieder
zu regnen und er schloss die Fenster, nachdem bereits stechend kalte
Regentropfen ins Innere gedrungen waren. Arved lenkte den Wagen
hinunter nach Wittlich und folgte dort den Hinweisschildern in
Richtung Autobahn. Für heute hatte er genug Aufregung und
Seltsamkeiten. Er schaute auf die altmodische Runduhr im
Armaturenbrett. Sie zeigte bereits Mitternacht an.
So schnell, wie er es dem alten Wagen zutraute, fuhr Arved
zurück. Der Regen fiel stetig, aber es war wenigstens kein
Wolkenbruch. Er war froh, als er endlich auf die Trierer Autobahn kam
und schon ein paar Minuten später war die Abfahrt Verteilerkreis in Sicht. Arved fuhr die Herzogenbuscher
Straße entlang, die schließlich in die Paulinstraße
überging, und bog hinter dem Friedhof mit seinen mächtigen
Skulpturen nach links in die Thebäerstraße ein. Der Turm
von Sankt Paulin ragte mahnend in den aufgewühlten Nachthimmel,
schien eins mit ihm zu sein, und der Kirchenbau darunter geronnenes
Jenseits. Jedes Mal, wenn Arved dieses Gotteshaus sah, versetzte es
ihm einen Stich. Jedes Mal kamen die Erinnerungen, wie er an dem
schmucklosen Pseudo-Barockaltar dieser ansonsten so prachtvoll
ausgemalten und geschmückten Kirche die Messe gefeiert und Brot
und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt hatte. Hatte er das
wirklich getan? Nein, es waren nur hohle Riten gewesen, an denen sich
die Menschen festhalten und in die sie den angeblichen Sinn ihres
Lebens fließen lassen konnten.
Er ließ die Kirche links liegen und fuhr in die
Palmatiusstraße. Vor der Garage hielt er den Wagen an, stieg
aus und öffnete das weiße, breite Tor, von dem die Farbe
abblätterte. Er parkte den Wagen ein und blieb erschöpft im
Dunkeln sitzen. Zwei unheimliche Katzen erwarteten ihn, dazu ein
Haus, das vor Dunkelheit und Feuchtigkeit starrte und in allen Ecken
an seine frühere Besitzerin erinnerte, auch wenn er beinahe alle
Möbel hatte entfernen und durch seine eigenen ersetzen lassen.
Doch es war ihm nicht die Zeit für eine Grundrenovierung
geblieben. Er schloss das Garagentor von innen und ging durch die
schmale Verbindungstür ins finstere Innere.
Kalte Luft schlug ihm entgegen. Etwas huschte vor ihm weg. Mit
zitternden Fingern tastete er nach dem Lichtschalter. Grünes
Licht aus der Jugendstillampe im Eingang ging an. Es war eher eine
kleine Halle als eine Diele. Sie erstreckte sich über beide
Stockwerke. In halber Höhe lief eine Galerie entlang, an der
sich die Schlafräume befanden. Es gab vier. Das Ehepaar Vonnegut
hatte zwei davon benutzt, die beiden anderen standen schon seit
über dreißig Jahren leer – und rochen entsprechend.
Arved hatte sich sein Schlafzimmer dort eingerichtet, wo früher
Lydia
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