Hexennacht
dem kleinen
Keller, in dem sich die Therme für das warme Wasser und die
Heizung befand, wartete die andere Katze. Arved hörte, wie die
Therme klackend ansprang und zischte.
In das Zischen mischten sich andere Laute. Jammernde, weinende,
klagende Laute. Menschliche Stimmen. Arved prallte zurück. Eine
der vielen Stimmen war deutlicher zu hören als die
übrigen.
»… ich kann nicht mehr… nicht gefunden…
Jürgen… Schmerzen…«
Die Stimme schien wie die anderen auch aus der Therme zu kommen.
Nach anfänglichem Zögern hielt Arved das Ohr gegen die
Emailleschicht. Tatsächlich hörte er nun einen Chor, der
ihm ans Herz griff. Es war, als sei alles Elend der vergangenen,
gegenwärtigen und zukünftigen Welt in diesem fauchenden
Behälter gefangen.
Eine der Katzen miaute und die Geräusche verstummten. Leise
Pfoten huschten fort und ließen Arved allein. Er verließ
den Keller im verdämmernden Glühen, und als er auf der
Treppe war, drang wieder das Licht der Straßenlaternen durch
die Fenster. Er huschte ins Bett, schloss mit heftigen Bewegungen die
Tür hinter sich, als wolle er alle Schrecken der Nacht und der
Unterwelt aussperren, und versuchte zu schlafen.
Am Morgen richtete er sich benommen im Bett auf und schaute sich
im matten Weiß eines trüben Tages um. War alles ein Traum
gewesen? Wo waren die Katzen, die ihm gestern Abend Gesellschaft
geleistet hatten? Da fiel sein Blick auf die geschlossene
Schlafzimmertür. Er war sich sicher, dass er sie aufgelassen
hatte, als er zu Bett gegangen war.
Er wusch sich, kleidete sich an – in unvermeidliches Schwarz,
Weiß und Dunkelrot – und schüttete Trockenfutter in
die Näpfe der Katzen. Sie kamen nicht.
Arved erinnerte sich an seinen Traum von der Therme im Keller und
fasste sich ein Herz. Er stieg hinunter. Und fand die beiden Katzen
vor der großen, weißen, zischenden Therme. Sie schauten
ihn an und fauchten. Er ging wieder nach oben. Alle Gedanken an eine
Reise waren verdrängt. Stattdessen holte er das unheimliche Buch
aus dem Sekretär und las darin.
Es war so vieles zu bedenken. Er brauchte zum Beispiel ein
nahtloses Hemd aus weißem Leinen. Wo sollte er es herbekommen?
Er brauchte einen Zauberstab. Er brauchte geweihte Kreide, einen
schwarzen Hahn oder ein Lamm – an die andere Möglichkeit
wollte er erst gar nicht denken – und einen Dolch, in den
magische Zeichen einzugravieren waren. Er musste vierzehn Tage lang
fasten und angeblich zu Gott beten, damit dieser sein Werk
gutheiße. Er musste Planetenkonstellationen beachten und die
richtige Nacht herausfinden. Und er musste, wenn es wirklich
funktionieren sollte, den Weg zurück finden.
Einige der benötigten Gerätschaften hatten im Keller der
Hütte gelegen, aber er konnte nicht darauf vertrauen, dass sie
noch dort waren. Er musste sich seine eigenen magischen Utensilien
besorgen.
Gab es nicht eine Esoterik-Handlung, in der man all das kaufen
konnte? Er zog die gelben Seiten zu Rate und fand tatsächlich
eine entsprechende Eintragung. In der Brückenstraße,
pikanterweise unmittelbar neben dem Karl-Marx-Haus, befand sich das Shangri-la, in dem es angeblich Bücher, Hilfsmittel und
Accessoires gab.
Arved machte sich auf den Weg.
* * *
Ein ganzes Glockenspiel kündigte sein Eintreten an. Das
Erste, was er wahrnahm, war der Geruch.
Oder besser der Gestank.
Es schien, als brenne in jeder Ecke des Ladens ein
Räucherstäbchen mit einer anderen Duftnote. Auch Weihrauch
war darunter. Beinahe drehte es ihm den Magen um. Hilfe suchend
schaute er sich um. An den Wänden standen Regale mit bunten
Büchern, bunten Tarot-Karten, bunten Steinen und
Traumfängern, und hinter der Kasse saß eine bunte Frau.
Ihre Haare waren rot und hatten blaue Strähnen. Diese Farben
setzten sich um die Augen herum fort, wurden von ihrem weiten,
wallenden Gewand aufgenommen und fanden ihren Höhepunkt in den
violetten Fingernägeln. Die Frau nickte ihm zu und lächelte
ihn freundlich an, ließ ihn aber in Ruhe.
Arved ging an den Regalen vorbei und versuchte, den Gestank zu
ignorieren. Er entdeckte Bücher über Traumdeutung,
schamanistische Magie, I-Ging, was immer das sein mochte, Orakel,
keltische Weisheiten und neue Hexen. Auch Zauberbücher waren
zahlreich vertreten, doch nirgendwo fand er eines, das seinem
überteuerten Schätzchen gleich kam. Es schienen allesamt
gereinigte Fassungen für zahme Magie-Aspiranten zu sein. Er
hielt Ausschau nach magischen Dolchen und Zauberstäben –
umsonst.
Lange rang
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