Hexennacht
nicht an das zu denken, was er
vorhatte.
Es gelang ihm für etwa fünf Sekunden.
Willst du wirklich mit diesem Tand und Schund versuchen, einen
Dämon zu beschwören?, fragte er sich, als er die
Stresemannstraße überquerte und bei dem chinesischen
Schnellimbiss in die Fleischstraße einbog. Er warf einen kurzen
Blick auf die rechts und links neben dem Laden abgebildeten Speisen
und konnte sich nicht vorstellen, je wieder etwas zu essen.
Hühnerblut! Vielleicht kam es ja von hier? Arved wandte den
Blick ab und schluckte.
»Hilf ihr. Hilf mir. Hilf ihr. Hilf mir. Hilf ihr. Hilf
mir.«
Was waren das für Stimmen in seinem Kopf? Verwundert sah er
sich um. Fast war er sicher gewesen, wieder irgendwo Magdalena zu
sehen, doch sie blieb verschwunden. Die Stimmen hingegen waren so
deutlich, so unleugbar und so fest mit ihm verwoben wie seine eigene
Seele.
»Hilf ihr. Hilf mir. Hilf ihr. Hilf mir. Hilf ihr. Hilf
mir.«
Ja, er würde es tun. Er musste es tun. Er würde alle
Vorbereitungen treffen und so schnell wie möglich mit der
Beschwörung beginnen. Dazu mussten aber die Sterne in der
richtigen Konstellation stehen.
Verdammt. Das hatte er vergessen. Sollte er noch einmal
zurückgehen? Aber dann würde sich die Verkäuferin
ernsthaft fragen, was er mit den ganzen Sachen wirklich wollte.
Für eine Theateraufführung oder eine warnende Demonstration
war es doch völlig egal, wie die Sterne standen. Nein, diese
Information musste er sich anderswoher besorgen.
Am Kornmarkt residierte in einem neuen Glasbau mit Blick auf den
jüngst restaurierten Brunnen die größte Trierer
Buchhandlung Interbook. Bestimmt fand er hier, was er suchte.
Er folgte den Wegweisern in die Esoterik-Abteilung und war entsetzt
über das große Angebot, das in vieler Hinsicht dem des Shangri-la entsprach – natürlich mit Ausnahme der
Utensilien zur praktischen Zauberei. Rasch hatte er ein
Astrologie-Buch gefunden und kaufte es. Nun war er komplett, hoffte
er.
Als er durch die Simeonstraße in Richtung Porta Nigra ging,
fragte er sich, wie viele der Passanten um ihn herum von dem okkulten
Abgrund wussten, der ganz in ihrer Nähe klaffte. Ob man ihm
ansah, was er vorhatte? Manche Leute schauten ihn neugierig an,
manche mit einem seltsamen Ausdruck, als sei er ihnen nicht ganz
geheuer. Und es konnte ihm nicht lange verborgen bleiben, dass
jedermann bemüht war, ihm nicht zu nahe zu kommen. Alle machten
einen großen Bogen um ihn, auch die Touristen.
Ausgestoßen.
Zuerst aus der Kirche und jetzt aus der Gemeinschaft der Menschen.
Wollte er denn nicht die Welt der Menschen verlassen und in die
Unterwelt eingehen, wie damals Orpheus, um seine Eurydike zu retten?
Dieser Gedanke gab ihm wieder Kraft.
Hinter der Porta Nigra wurde es ruhiger. Arved lief mit seinen
Tüten und Beuteln die Paulinstraße hoch bis zur
Maximinstraße, kam am Teerdisch vorbei, aber sein
Appetit war noch nicht zurückgekehrt. Statt hier einzukehren,
ging er auf direktem Weg zu seinem Haus in der
Palmatiusstraße.
Als er am Pfarrhaus von Sankt Paulin vorbeilief, warf er einen
wehmütigen Blick auf das hinter der hohen Mauer verborgene
palaisähnliche Pfarrhaus. Dort hatte er sich so wohl
gefühlt, durch die Mauer und die alten Wände abgeschirmt
von der Welt, wenn auch immer nur für kurze Zeit, bis ihn sein
Dienst wieder hinausprügelte. Wie gern wäre er in dieses
Haus zurückgekehrt. Doch etwas anderes wartete auf ihn.
Er lief an der Galerie und dem verfallenden Nachbarhaus vorbei,
dessen einstige Größe und Pracht nur noch ein Schatten
war, und eilte in die Kühle und Dunkelheit seines Erbes. Er
packte seine Sachen aus, schloss die Wohnzimmertür, nachdem er
sich vergewissert hatte, dass keine Katze im Raum war, und legte
alles nebeneinander auf den Boden. Lange stand er vor den magischen
Werkzeugen und betrachtete sie, ohne einen klaren Gedanken zu fassen.
Dann hob er das Astrologie-Buch auf und versuchte herausfinden, wann
der richtige Zeitpunkt für die magische Operation war, den das
Zauberbuch empfahl.
War es Glück oder Pech? Die Planetenkonstellation, die als
besonders wirkungsmächtig beschrieben worden war, würde am
folgenden Tag eintreten.
Morgen Nacht würde er die Beschwörung
durchführen.
17. Kapitel
Es blieb noch viel zu tun. Er hatte keine Zeit mehr, die
geforderten vierzehn Tage zu fasten und zu beten, doch er nahm sich
vor, bis morgen Abend nur noch Mineralwasser zu sich zu nehmen. Die
unbedingt notwendige sexuelle Enthaltsamkeit
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