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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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wurden mit glühenden
Zangen gezwickt und allen Arten von Qualen unterworfen, und über
sich habe sie wie hinter einer Panzerglasscheibe das Paradies der
Seligen sehen können.
    Das Schlimmste sei gewesen, diesen Ort morgens, mittags und
abends zu sehen und zu wissen, dass man niemals dorthin gelangen
könne.
    Arved klappte das Buch wieder zu und stellte es zurück ins
Regal. Immerhin ergab sich daraus, dass es auch in der Hölle
Tageszeiten gab, dachte Arved und musste grinsen.
    Ein Lichtstrahl fiel bis in den hinteren Winkel des Ladens, in dem
Arved stand. Es war beinahe wie ein kleines Zeichen. Draußen
hatte sich das Gewitter rasch verzogen und die Sonne drängte
sich zwischen den Lücken der schwarzen Wolken hindurch. Er
verließ den Buchladen und setzte seinen Weg zum Dom fort.
    Es war ein seltsames Gefühl, das kleine südliche Tor zu
durchschreiten und sich von der Kühle der großen Kirche
einhüllen zu lassen. In der Ferne schwebte die Kapelle des
Heiligen Rocks wie eine Wolke in der Apsis über dem Hochaltar.
Arved erinnerte sich an seine Priesterweihe in diesem Dom und an
seinen Tatendrang, seine Freude und Gotteserfülltheit, als er
mit dem Gesicht nach unten vor dem Altar gelegen und sich seinem Gott
dargeboten hatte. Wehmut überkam ihn, während er das
südliche Seitenschiff entlangging. Er zog die schwere
Glastür auf, die hinaus zum Kreuzgang führte, und
öffnete die Holztür dahinter. Er schritt unter dem hohen
Kreuzrippengewölbe her, bis er die drei Engel im Hof sah. Mit
ihren schlanken Körpern und kleinen, kugeligen Köpfen
wirkten sie wie Figuren aus einem Mensch-ärgere-dich-
nicht-Spiel. Arved setzte sich in eine der gotischen Nischen und
starrte die Skulpturen versonnen an. Die Erinnerungen an seinen Traum
sowie an sein Erlebnis vorhin in der Simeonstraße kamen
zurück. Wurde er langsam wahnsinnig?
    Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter. Er fuhr zusammen;
sofort wurde die Hand wieder weggezogen.
    »Entschuldigung.«
    Arved drehte sich langsam um und hatte schon erwartet, eine
Gestalt in einem weiten Umhang und mit Kapuze zu sehen, doch
stattdessen stand hinter ihm ein kleiner, schmächtiger
Geistlicher. Die Haare waren ihm ausgefallen; Reste von Blond, das
ins Grau spielte, hingen ihm wie ein Heiligenschein um den scharf
gezeichneten Kopf.
    Arved atmete auf und erhob sich ruckartig. »Ulrich!«,
rief er freudig. »Schön, dich zu sehen. Seit wann bist du
wieder in Trier?«
    Ulrich Schwarz hatte damals zusammen mit ihm die Priesterweihe
erhalten, und im Priesterseminar waren sie zwar keine dicken Freunde,
aber einander stets hilfsbereite Kollegen gewesen. Sie hatten sich
aus den Augen verloren, als Ulrich nach Italien gegangen war –
sein großer Traum hatte sich erfüllt. Umso erstaunter war
Arved, dass er offenbar wieder hier war.
    »Schon seit einem halben Jahr. Es war eine schöne Zeit
in Rom, aber jetzt werde ich hier gebraucht. Wie geht es dir?«,
fragte Ulrich mit sanfter Stimme und legte den Kopf leicht schief. Er
wusste es.
    »Du hast es gehört?«
    »Wir wissen es alle.« Ulrich war einen Kopf kleiner als
Arved und unglaublich schlank. Er wirkte wie ein Asket, konnte aber
Unmengen von guten Speisen und Getränken vertilgen, was er einer
Schilddrüsenüberfunktion zu verdanken hatte. »Wir
haben für dich gebetet.«
    Es hat wohl nichts genützt, was meine These von der
Nichtexistenz Gottes stützt, hätte er beinahe geantwortet,
doch er wollte nicht so schroff sein. »Vielen Dank«, sagte
er stattdessen nur.
    »Kommst du über die Runden?« Die Frage wirkte ernst
gemeint.
    »Ja. Ich habe eine Erbschaft gemacht«, antwortete Arved
vage. Die ganze Geschichte wollte er nicht vor Ulrich ausbreiten.
    »Ich wünschte, ich könnte dir helfen«, meinte
Ulrich. Sie setzten sich gemeinsam in die Nische des Kreuzgangs und
schauten die Engel an. »Es gibt immer einen Weg
zurück.«
    Arved sagte nichts darauf. Er fühlte sich zerrissen. Ein Teil
von ihm hielt an seinen Überzeugungen fest, die er durch die
Jahre als Priester gewonnen hatte, doch der andere Teil erging sich
in wilden Spekulationen über das Schicksal von Magdalena und
Jürgen Meisen. Bin ich wahnsinnig? Am liebsten hätte er
Ulrich diese Frage gestellt. Er deutete auf die Engel. »Glaubst
du an sie?«
    Ulrich lachte. »Was für eine Frage. Das sind
Bronzeskulpturen.« Er sah Arved beinahe mitleidig von der Seite
an.
    »Nein, ich meine Engel im Allgemeinen.«
    »Natürlich. Sie sind die Boten Gottes.
Sie…«
    »Und auch an

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