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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Blick ins Telefonbuch
herausfinden können, aber sie besaßen keine Kenntnisse von
seinem wirklichen Leben. Das beruhigte ihn. Auch hier wurde nur mit
Wasser gekocht.
    »Du hast einen Dämon beschworen?«
    »Ich habe es versucht. Ich habe die Anweisungen im Grimorium Nigrum befolgt und hatte auch den Eindruck, dass
etwas kurz davor war, unsere Sphäre zu betreten.« Je dicker
er auftrug, desto besser. »Ich habe die dämonische
Präsenz deutlich gespürt, aber ich habe irgendeinen Fehler
gemacht, denn es kam nicht zu einer Manifestation. Vielleicht haben
mich meine Gefühle ja getrogen. Ich will Gewissheit haben. Ich
will das Ritual mit einer mächtigen Gruppe wiederholen. Ich will
die Anweisungen der Ludwiga Bohnum befolgen. Sie fühlen sich als
rechtmäßige Erben dieser großen Zauberin, sonst
würden Sie nicht ihren Namen als E-Mail-Adresse benutzen. Ich
kann Ihnen das geben, was Ihnen das Heiligste ist: Ludwigas
persönliches Zauberbuch. Und dafür verlange ich nichts als
die Teilnahme am Ritual.«
    »Komm näher. Stell dich vor den Altar.«
    Arved gehorchte und trat die wenigen Stufen hoch – beinahe
wie früher.
    »Dreh dich um.«
    Er schaute die Gestalten an. Der magere Schimmer, der durch das
Turmportal drang, machte sie nur noch mehr zu Schemen im Gegenlicht.
Sie hockten da wie Eulen auf einem verkrüppelten Ast.
    Nun ertönte eine neue Stimme. Sie war bedrohlich wie das
Herannahen einer turmhohen Welle. »Wir glauben dir nicht. Deine
Erklärung ist widersprüchlich. Wenn du Gott durch den Satan
finden willst, wirst du zum Gegner unseres Gottes werden, sobald er
sich zeigt. Wir würden ein Kuckucksei in unserer Mitte haben.
Aber nun hast du uns gesehen. Was sollen wir mit dir
machen?«
    Arved schlug das Herz bis zum Hals. Da hatte er geglaubt, so dicht
vor dem Ziel zu sein, und nun schwebte er in Gefahr. Er atmete rasch
und unregelmäßig; alle Zuversicht und Stärke drohte
ihn wieder zu verlassen. Er schaute über die Gestalten hinweg
auf das Glockenseil, das in einem leichten Luftzug schwankte. Er
holte tief Luft und sagte: »Ich habe nicht gelogen. Das ist
meine Erklärung. Ich will das Unsichtbare sehen. Ich werde
nichts unternehmen, nicht aktiv an der Beschwörung teilnehmen,
sondern nur Zuschauer sein. Ich werde mit niemandem darüber
sprechen.«
    »Und das sollen wir dir glauben?«, fragte die
brüchige Stimme.
    »Sie müssen mir vertrauen. Dafür erhalten Sie das
Buch, das Sie haben wollen. Das ist das Geschäft, das sind die
Konditionen. Andere gibt es nicht.« Arved war erstaunt über
seine eigenen Worte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das
letzte Mal so bestimmend gewesen war.
    Erneut setzte Getuschel ein, bis schließlich die weibliche
Stimme sagte: »Wir fordern von dir einen Beweis dafür, dass
du es ernst meinst. Hinter dir auf dem Altar steht ein Holzkreuz.
Zerbrich es.«
    Arved drehte sich um. Das weiße Altartuch war wie frisch
gefallener Schnee. Darauf erhob sich ein nicht sehr altes,
schmuckloses Kruzifix wie ein Baum aus der Wintererde. Arved ging
darauf zu, wäre aus Gewohnheit beinahe niedergekniet und
streckte die Hand nach dem Kreuz aus. Er ergriff es und wandte sich
wieder an die Vermummten.
    Es war nur ein Symbol. Es würde dem Holz keine Schmerzen
zufügen. Trotzdem zögerte Arved. Dann kam der Schrei.
    Er hatte seinen Ursprung nicht in der Kirche, nicht auf dem
Friedhof, nicht in der Welt. Er kam direkt aus Arved selbst, quoll in
ihm hoch, zerplatzte in seinem Gehirn wie eine Blase und durchdrang
alle Fasern seines Bewusstseins. Auch wenn der Schrei körperlos
war, hatte er doch eine deutlich erkennbare Stimme.
    Die Stimme Magdalenas.
    Arved winkelte das rechte Bein an, packte das Kreuz an beiden
Enden und zerbrach es über seinem Schenkel. Als er das Splittern
hörte, war er erstaunt, wie leicht es gewesen war. Er warf die
beiden Bruchstücke den verhüllten Gestalten vor die
Füße. »Reicht das?«, fragte er
herausfordernd.
    »Wir werden dich aufnehmen«, sagte die Stimme wie
Weltenbrausen. »Bleib dort stehen.« Alle sechs erhoben sich
und gingen in einer schweigenden Prozession nach draußen.
    Wie der Auszug der Mönche nach der Vesper, dachte Arved.
Bilder waren doch nichts als Täuschungen.
    Lange stand er reglos da. War das eine weitere Prüfung? Er
fühlte sich so hilflos. Noch immer hallte der verwehende Schrei
in ihm wider. Er wusste, dass er alles für Magdalena tun
würde. Ihr Bild erstand vor seinen Augen: die dunkelbraunen
Augen, die glatten, schwarzen

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