Hexennacht
dem Turm. Nur
einige Votivtafeln aus hellem Marmor blitzten kurz auf.
Maria hat geholfen. Maria sei Dank.
Arved ging in das Kirchlein hinein. In Höhe der letzten
Bänke blieb er stehen, bis sich seine Augen an die Dunkelheit
gewöhnt hatten.
Da sah er etwas. In den ersten beiden Kirchenbänken.
Es waren sechs schwarze Umrisse. Einer davon drehte sich zu ihm um
und sagte: »Willkommen, Arved Winter.«
22. Kapitel
Es war die tiefe weibliche Stimme, die am Telefon mit ihm
gesprochen hatte. Aber nun klang sie nicht mehr verführerisch,
sondern hart und kalt. Die übrigen Schatten regten sich. Arved
hörte leises Rascheln von Stoff, als ob die Satanisten etwas
unter ihren Kutten hervorzögen. Sie sahen aus wie die Gestalt,
die Arved schon mehrfach gesehen hatte, zuletzt im Kunowald unweit
der Hexenhütte.
Die Stimme, die in der Schwärze ihres Kapuzenmantels
körperlos blieb, fuhr fort: »Wir haben den unangenehmen
Eindruck, dass du uns betrügen willst. Du hast das Buch
nämlich nicht bei dir. Warum nicht?«
Arved räusperte sich. Er versuchte, gelassen zu klingen,
obwohl es in ihm brodelte und er am liebsten einfach weggelaufen
wäre. Offenbar war jeder seiner Schritte beobachtet worden.
»Es stimmt, ich habe Kopien von einigen Seiten gemacht. Das Buch
befindet sich an einem sicheren Ort. Es ist meine
Rückversicherung.« Er kam sich vor wie in einem schlechten
Film. Die gewölbte Decke der kleinen Kirche warf seine Worte
zurück.
»Gib uns die Kopien«, forderte die Stimme. Für
einen Augenblick war es in der Kapelle totenstill. Dann trat Arved
einige Schritte vor und zog die Blätter aus der Innentasche
seines schwarzen Jacketts. Er streckte sie weit von sich; sie waren
wie weiße Inseln in der Nacht.
Eine feingliedrige Hand schoss hervor und nahm ihm das Papier ab.
Die Kopien wanderten zwischen den verhüllten Gestalten umher wie
gewaltige Glühwürmchen. Lange Zeit sagte niemand etwas.
Dann drehte sich die Frau wieder zu Arved um. »Wir wollen
nicht die Kopien haben, sondern das Buch. Wir haben uns mit dem Preis
einverstanden erklärt. Was soll das?«
»Der Preis hat sich geändert«, sagte Arved mit
fester Stimme. Er war erstaunt darüber, dass er in dieser
bizarren Situation allmählich immer ruhiger wurde.
»Noch mehr bezahlen wir nicht.«
»Das ist auch nicht nötig.«
»Was willst du dann haben?«, fragte die Stimme
ungeduldig.
»Ich möchte dabei sein, wenn Sie das Ritual
vollziehen.«
Die nun einsetzende Stille war so tief, als seien von einer
Sekunde auf die andere alle Laute aus der Welt verbannt worden. Nicht
einmal Atmen war zu hören. Arved spürte, wie seine
Handflächen schweißnass wurden. Endlich setzte ein
Tuscheln ein und die verhüllten Gestalten neigten sich einander
zu. Nach schier endlosem Gemurmel drehte sich ein anderer der
Satanisten um und sagte mit einer lächerlich hohen,
brüchigen Stimme, in der eine gewisse Hysterie mitschwang:
»Wir wissen, dass du Priester bist. Du bist zwar suspendiert,
aber deine Weihe ist immer noch gültig. Deine Gegenwart
würde dem Ritual zusätzliche Kraft verleihen. Aber warum
willst du das tun?«
Sie wissen doch nicht alles über mich, dachte Arved beinahe
belustigt und faltete die Hände vor dem Bauch. Er fühlte
sich wieder ein wenig stärker. »Es ist richtig, dass ich
suspendiert bin«, sagte er langsam und suchte nach einer
angeblichen Erklärung für seinen Wunsch. Sie drängte
sich ihm regelrecht auf; es war, als werde er von fremden Gedanken
gelenkt. »Ich kann nicht mehr an Gott glauben. Er zeigt sich
nie, doch sein Widersacher ist bereit, Umgang mit den Menschen zu
haben und seine Existenz unter Beweis zu stellen. Vielleicht kann ich
meine Glaubenszweifel beseitigen, wenn ich den Teufel oder einen
Dämon sehe. Dann beweist der Schatten die Existenz des
Lichtes.« Sein darauf folgendes Schweigen hing wie eine Frage im
Raum.
Die hohe Stimme lachte kurz auf. »Das ist die dämlichste
Erklärung, die ich je gehört habe«, kicherte sie.
»Und daher die glaubwürdigste. Bilde dir aber nicht ein,
dass wir dich einfach so in unseren Kreis lassen. Was hast du denn
schon vorzuweisen? Du glaubst an gar nichts mehr, hast dem Satan
keine Ehre erwiesen, hast keine praktische Erfahrung mit
Beschwörungen…«
»Doch, die habe ich«, warf Arved ein. Gemurmel erhob
sich zum niedrigen Deckengewölbe. Ihr Erstaunen machte ihn nur
noch stärker. Offensichtlich war er heute überwacht worden;
seine Adresse hatten sie durch einen kurzen
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