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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Haare, die hohen Wangenknochen, der
schmale Mund, die zarte Gestalt, ihre Verzweiflung, ihre Qualen, ihre
Angst. Eine Stimme, leise erst, doch immer beharrlicher werdend, wand
sich wie ein Wurm durch seine Erinnerungen: »Was ist, wenn du
hinter einer Chimäre herläufst? Was ist, wenn sie gar nicht
verschwunden ist? Was ist, wenn du dich hast täuschen lassen?
Wenn das römische Essen mit ihr nur ein Wunschtraum von dir war?
Wenn sie einfach nichts mehr mit dir zu tun haben will? Wenn du
– einfach nur sehr krank bist?« Er fühlte sich wie
jemand, der aus einem Schiff geworfen wurde und nun im unbekannten
Ozean herumtrieb, ohne das geringste Wissen, in welcher Richtung
möglicherweise Rettung lag.
    Sie kamen zurück, zogen schweigend ein und blieben in einer
Reihe vor ihm an den Stufen des Altares stehen. Jeder von ihnen hatte
etwas in der Hand. Weiß der Teufel, wo sie die Sachen so
schnell hergeholt haben, dachte Arved, denn nirgendwo in der
Nähe hatte er ein Auto gesehen. Seine inzwischen an die
Dunkelheit gewöhnten Augen erkannten einen Messkelch, ein dickes
Buch, eine Schere, eine Kohlenpfanne, ein Weihrauchfass und einen
langen Stab.
    »Wenn es wirklich dein Wille ist, wirst du sehen, was du zu
sehen begehrst«, donnerte die mächtige Stimme, die von
allen Wänden der kleinen Kirche auf Arved einzudringen schien.
»Aber dazu musst du dich dem Satan, unserem Herrn und Meister
verschreiben. Bist du bereit, die Zeremonie auf dich zu
nehmen?«
    Arved biss sich auf die Unterlippe. Für ihn gab es kein
Zurück mehr. Es war so weit gekommen, dass ein Aufgeben nicht
mehr möglich war. Er atmete tief durch und sagte mit sehr
lauter, fester Stimme: »Ich bin bereit.« Seine Worte
hallten nicht minder wie die des dunklen Satanisten.
    Einer der sechs – unmöglich zu sagen, wer es war –
trat die Stufen zum Altar hoch und setzte die Kohlenpfanne, die drei
kleine, bocksähnliche Füße hatte, auf das
schneeweiße Tuch. Als er nahe an Arved vorbeiging, kroch diesem
ein süßlicher Gestank in die Nase, der ihm nicht unbekannt
war. Aber seine Erinnerung war blockiert. Er existierte nur noch im
Hier und Jetzt. Die Kohlen links hinter ihm glühten und
fügten ihren Geruch dazu.
    Der Mann mit der mächtigen Stimme leitete das Ritual. Er
sagte zu Arved: »Sprich mir nach: Ich widersage dem
Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich widerrufe meine Taufe.
Ich widerrufe die Anbetungen, die ich Gott gewährte. Ich
hänge dir an, Satan, und glaube an dich.«
    Arved sprach die Worte ohne Zögern und ohne innere
Beteiligung nach. Sie wollten eine Farce haben, also gut, dann
bekamen sie sie.
    Nun trat der Satanist mit dem Kelch hervor und reichte ihn Arved.
Die Hände, die ihn hielten, steckten in hautengen schwarzen
Handschuhen und wirkten wie Vogelkrallen. In dem Kelch schwamm eine
dunkle Flüssigkeit, die entsetzlich stank. Arved starrte in sie
hinein und hob dann den Blick zu der schwarzen Gestalt vor ihm. Die
Kapuze war so groß, dass er nicht das Mindeste darunter
erkennen konnte.
    Die mächtige Stimme raunte: »Trink das Opfer des
Fürsten der Finsternis.«
    Arved ergriff den Kelch und führte ihn an den Mund. Es zog
ihm die Kehle zu und drehte ihm den Magen um. Nein, das konnte er
nicht. Er bohrte den Blick in die Schwärze unter der Kapuze vor
sich und glaubte, in den Tiefen etwas blitzen zu sehen. Es wirkte
nicht wie ein Augenpaar – eher wie zwei Sterne, unendlich fern
und völlig unbeteiligt.
    »Trink!«
    Wenn er es nicht tat, war alles umsonst gewesen. Arved atmete tief
ein und hielt die Luft an. Dann setzte er den goldenen Messkelch an
die Lippen und schluckte den widerlichen Inhalt hinunter. Er musste
würgen. Sein Inneres schien in Flammen aufzugehen. Gift!, schrie
es in ihm. Aber sie hatten keinen Grund, ihn zu töten. Sie
hatten das Buch noch nicht. Der Kelch fiel ihm aus den Händen
und klapperte über den Steinboden der Kapelle.
    In der Krallenhand befand sich plötzlich eine moderne Sigg- Flasche. Der Satanist hielt sie ihm entgegen.
»Spül damit nach«, ertönte eine brüchige,
hohe Stimme.
    Arved ließ sich nicht zweimal bitten. In der Flasche befand
sich lauwarmer Eistee. Nicht gerade köstlich, aber unter den
gegebenen Umständen reinster Nektar. Arved leerte die ganze
Flasche und gab sie zurück. Nun fühlte er sich besser, aber
er hatte den Eindruck, als habe etwas in seinen Körper Eingang
gefunden, das dort ganz und gar nicht hingehörte.
    Bevor er weiter darüber nachsinnen konnte, donnerte

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