Hexennacht
Sie drehte sich, bis
sie wagerecht lag und in Richtung des Turms und des Portals wies.
»O großer Herr, nun opfern wir dir das Blut dieser
Katzen, der dir geweihten Tiere.«
Eine Hand – wem sie gehörte, konnte Arved unmöglich
sagen – öffnete mit einer raschen, geübten Bewegung
den Katzenkorb. Die Tiere sprangen heraus. Und liefen aus dem
magischen Kreis.
»Nein!«, rief die weibliche Stimme.
Arved setzte den Tieren nach. Eine Hand griff nach seinem Umhang,
ließ ihn wieder los. Nun war Arved jenseits des magischen
Kreises. Einen Augenblick lang schien die waagerechte Windhose auf
ihn zuzuschweben, dann war sie verschwunden. Alles wurde schwarz. Und
etwas schlug mit großer Macht gegen ihn.
24. Kapitel
Für einen Augenblick war Arved so benommen, dass er gar
nichts mehr begriff. Die Luft war ihm aus der Lunge geprügelt
worden und er rang nach Atem. Dann erst erkannte er, dass er gegen
das geschlossene Kirchenportal gerannt war. Er drehte sich kurz um,
denn hinter ihm hörte er Geräusche. Eine Gestalt in einem
schwarzen Umhang kam auf ihn zu. Die anderen standen wie angewurzelt
im magischen Kreis.
Die anderen sechs.
Ein siebter Teufelsanbeter näherte sich ihm. Arved zwang
sich, nicht zu überlegen, wer – oder was – das sein
mochte. Er wollte nur fort, weg von diesem Zauber. Er presste sich
gegen die schwere Eisentür. Sie gab nach. Rasch schlüpfte
er durch den entstehenden Spalt. Draußen badete der Mond die
Welt in krankem Silber. Arved lief über den Kiesplatz, an der
Lourdes-Grotte vorbei auf die Straße und in Richtung seines
Wagens.
Sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen.
Arved kramte hektisch in den Taschen seiner Hose und seiner Jacke
nach den Autoschlüsseln, fand sie aber nicht. Die Schritte
hinter ihm kamen immer näher. Er hörte schon das Rascheln
des Umhangs – oder war es sein eigener?
Er rannte an dem Bentley vorbei, der wie ein geducktes Tier am
Straßenrand hockte, lief immer weiter, bis Seitenstiche ihm die
Atemluft nahmen. Weiter! Weiter! Die Straße führte in
einem Bogen in eine kleine Senke; rechts und links standen alte
Obstbäume an der Böschung und wirkten wie winkende
Gestalten. Sie zitterten, obwohl nicht der geringste Luftzug zu
spüren war. Alle Farbe war aus Wiese und Wald gewichen, doch es
war beinahe so hell wie am Tag. Mondtag. Die Straße war ein
graues Band, eine schlafende Schlange. Die Schritte hinter ihm wurden
blasser. Er wagte es nicht, sich umzudrehen. Arved nahm alle Kraft
zusammen, ignorierte die Schmerzen in der Seite und hastete mit
schweren, langen Schritten weiter.
Links vor ihm tauchte zwischen Bäumen ein Haus auf. Ein
neonhelles Schild mit schwarzer Schrift hing über der eichenen
Eingangstür. Gasthof Hellenthal. Arved rannte mit letzter
Kraft auf die Tür zu und schnappte nach Luft wie ein Fisch am
Strand. Er klopfte heftig und schaute sich kurz um.
Niemand war ihm gefolgt. Alles war ruhig in dieser Mondnacht. Kein
Geräusch drang zu ihm; die Bäume regten sich zwar, aber
kein einziges Blatt raschelte. Nichts regte sich im Gras der Wiesen,
keine lebende Seele war auf der Straße zu sehen. Kurz
überlegte Arved, ob er es wagen sollte, zurück zu seinem
Wagen zu gehen. Er kramte erneut in seinen Taschen herum und fand
tatsächlich den Schlüssel. Doch da wurde die Tür
bereits geöffnet.
»Guten Abend. Späte Gäste sind mir am
liebsten.«
Arved schaute den breitschultrigen Mann fragend an. Er trug ein
kariertes Baumwollhemd und eine Jeans. Seine Haare hätten eher
zu einem Löwen gepasst; sie bildeten eine braune, verfilzte
Mähne, die so aussah, als sei sie aus alten, gewaltsam
gelösten Rasta-Löckchen hervorgegangen. Als er
lächelte, zeigte er große Zähne, die aus einer
Fernsehreklame für Zahnweiß stammen konnten. Er streckte
eine Pranke aus. Arved ergriff sie zögernd. Der Mann packte
schraubstockartig zu und zog Arved über die Schwelle. »Sie
wollen ein Zimmer haben? Nur für diese Nacht?«
Arved nickte und warf noch einen Blick hinter sich auf die
Silberwelt, bevor der Mann die Tür mit einem heftigen Knall
zuschlug. Im Flur ging die Deckenlampe an und enthüllte ein
Interieur aus Eiche, Raufaser, grauer Auslegeware und messingfarbenen
Lampen. Unter der Treppe war eine kleine, längliche Rezeption
eingebaut.
Der Mann nahm den einzigen Schlüssel, der noch am Bord hing,
ab und legte ihn auf die Theke. »Sie können
frühstücken, wann Sie wollen. Ihr Zimmer liegt im
Erdgeschoss, den Gang entlang, letzte
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