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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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passten
perfekt – und packte den Katzenkorb. Er wunderte sich, wie ruhig
und gefasst die Tiere waren – beinahe als wären sie
betäubt.
    Arved ging über einen Kiesplatz, an dessen Ende eine
Lourdes-Grotte im Mondlicht badete; alle Kerzen vor der Madonna waren
erloschen. Er ging auf die Kirche zu. Sie war weitaus
größer als die in Weinfeld, doch auch sie hatte das Portal
im Turm. Es war eine moderne, schwere Tür aus Eisen, das in der
Höhe des Schlosses nach außen gebogen war. Arved konnte
sich eines Grinsens nicht erwehren. Offenbar hatte nicht die schwarze
Magie, sondern eine gewöhnliche Brechstange den Satanisten
Zutritt zu diesem Gotteshaus verschafft. Er zog die nur angelehnte
Tür auf und betrat die dunkle Kirche.
    Die fast dunkle Kirche.
    Vorn, am Altar, brannte eine einsame Kerze. Dahinter standen sie.
Alle sechs. Im Kreis. In einem Kreis. Im magischen Kreis, den sie
bereits auf den Boden gezeichnet hatten. Zwei Räucherpfannen
standen bereit, und eine der Gestalten hielt einen Zauberstab
ähnlich dem, den Arved in dem Trierer Esoterikladen erstanden
hatte. Hinter ihnen erhob sich schattenhaft ein kleiner neugotischer
Hochaltar.
    »Komm näher und bring das Buch!« Wieder diese
Stimme, die so sehr im Gegensatz zu dem Schmierentheater stand, aus
dem sie hervorging. Sie wirkte hypnotisch.
    Arved stellte den Katzenkorb außerhalb des magischen Kreises
ab und holte das Zauberbuch hervor. Eine behandschuhte Hand zuckte
vor. Es konnten kaum mehr als dürre Stöckchen in den
Fingern stecken.
    Oder Knochen.
    Arved bemerkte kaum, wie ihm das Buch entwunden wurde. Der
majestätische Mann mit der unheimlichen Stimme hielt sich das
Buch dicht vor die Augen – oder vor die Stelle, wo wohl tief im
Innern der Kapuze die Augen stecken mochten. Dann bückte er
sich, hob ein Stück Kreide auf, das neben einem der Zacken des
über den Kreis hinausragenden Pentagramms lag, und zeichnete
weitere Buchstaben und Symbole ein. Dann blätterte er weiter.
Besonders eine Stelle zeigte er allen Versammelten außer Arved.
Gemurmel setzte ein. Schließlich winkte er Arved in den Kreis.
Er roch die aromatischen Substanzen; es waren dieselben, die er in
der Waldhütte der Ludwiga Bohnum verbrannt hatte.
    »Lasset uns beginnen. Lies diesen Abschnitt kraft deines
Priesteramtes«, wirbelte die Stimme durch die hohe Kirche.
    Arved räusperte sich, dann las er dieselben Worte wie neulich
im Wald. Es war die Beschwörung des Dämons Azrael, die mit
blasphemischen Nennungen Gottes und der Trinität einherging.
Arved fühlte nichts, als er diese Worte zum zweiten Mal las.
    Als er zum Ende gekommen war, riss ihm der Anführer –
denn um diesen musste es sich bei dem Mann mit der seltsamen Stimme
handeln – das Buch aus der Hand und las selbst die mit
Anmerkungen Ludwiga Bohnums gespickten weiteren Stellen. Es schien
ihm nicht die geringste Mühe zu bereiten, die alten Buchstaben
zu entziffern; er las so flüssig, als lese er einen
Zeitungsartikel.
    In seiner Stimme bildete sich etwas. Arved hatte plötzlich
den Eindruck, als webe sich die Stimme um einen bestimmten
Mittelpunkt, als fransten die Worte an den Rändern aus und
verdickten sich um eine imaginäre Mitte. Fast erwartete er,
etwas zu sehen, einen Gegenstand, vielleicht einen Weinstock, aber
alles blieb, wie es war. Und doch schuf die ungeheuerliche, immer
noch anschwellende Stimme eine feste Mitte, die unsichtbar wirbelnd
vor dem magischen Kreis hing.
    Die anderen schienen es auch zu bemerken. Plötzlich aber
ertönte die brüchige, hohe Stimme: »Die Katzen! Wir
brauchen die Katzen! Der Korb steht noch vor dem Kreis!«
    Die Stimme brach ab; alles Feste zerwirbelte. Als eine dürre
Hand nach dem Korb greifen wollte, fuhr Arved dazwischen. »Das
mache ich selbst!« Er trat aus dem Kreis und holte die Katzen,
die inzwischen leise miauten, als ob sie unsägliche Angst
hätten. Er stellte den kleinen Plastikkäfig im Schutz des
magischen Kreises ab. Die majestätische Stimme brummte etwas,
dann begann sie von neuem.
    Und wieder war Arveds Eindruck der gleiche. Es formte sich etwas
in der Mitte. Eindeutig. Die Worte erschufen etwas, oder sie holten
es hervor. Da war sie wieder, die Verdickung in der Atmosphäre.
Nun wurden die Tiere unruhig. Sie stießen gegen die Wand des
Korbes und miauten immer lauter.
    Die Worte wurden lauter, heftiger, brachten einen Wind herbei, der
seinen Ursprung mitten in der Kirche zu haben schien. Eine kleine
Windhose, die in der Mitte immer fester wurde.

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