Hexennacht
jemandem sagst, wohin du
fährst, hast du dein Leben verwirkt.« Es klang wieder
einmal schrecklich dramatisch, doch auch diesmal hatte Arved das
ungute Gefühl, dass der Mann am anderen Ende es sehr, sehr ernst
meinte.
»Ich werde niemandem etwas sagen. Da Sie mich ja doch
beobachten und vielleicht auch mein Telefon verwanzt haben, werden
Sie rasch bemerken, dass ich mich an Ihre Anweisungen halte. Wohin
soll ich kommen?«
»Zur Oberburg bei Manderscheid. Im Burgfried unter der Treppe
werden Sie erwartet. Um elf Uhr nachts. Und vergessen Sie die Katzen
nicht.« Es wurde aufgelegt.
Die Katzen! Arved hatte die armen Tiere beim Gespräch mit
Lioba erst gar nicht erwähnt, weil er ihre Reaktion vorausgeahnt
hatte. Sie hätte ihm niemals geraten, an der Beschwörung
teilzunehmen, wenn sie gewusst hätte, dass zwei Katzen dabei
getötet werden sollten. Er hatte den ganzen Nachmittag an diese
merkwürdige Frau gedacht, in deren Gegenwart er sich eigentlich
sehr wohl gefühlt hatte. Sie ging ihm einfach nicht mehr aus dem
Kopf. Und darüber hatte er Salomé und Lilith ganz einfach
vergessen. Als er sich umdrehte, saßen sie hinter ihm.
Er ging in den Keller und suchte nach einem Katzenkorb. Wenn er
keinen fand, würde er es aufgeben. Aber er fand einen unter
alten, moderig riechenden Sitzkissen und Bettdecken. Er nahm ihn mit
nach oben, öffnete die Klappe, die wie die Tür einer
Gefängniszelle aussah, und stellte ihn in der Diele auf den
Boden. Die Katzen umschnupperten den Korb, betraten ihn aber nicht.
Stattdessen strichen sie Arved um die Beine und schnurrten.
Er würde es nicht zulassen, dass sie getötet wurden. Er
würde dazwischentreten. Er würde sie beschützen. Aber
er musste sie mitnehmen. Und das Grimorium Nigrum. Er ging ins
Wohnzimmer und holte es aus dem Aufsatz des Sekretärs. Mit
geradezu verstohlenen Bewegungen ließ er es in die Innentasche
seiner Windjacke gleiten. Dann setzte er sich auf das Sofa,
hörte Jacques Brel und wartete auf den Abend.
Kurz vor neun Uhr ging er mit unsicheren Schritten hoch ins
Schlafzimmer und holte eine Taschenlampe für alle Fälle.
Danach füllte er in der Küche die beiden Näpfchen mit
Trockenfutter und stellte sie in den Transportkorb. Lilith und
Salomé eilten sofort hinein. Arved schloss das kleine
Türchen hinter ihnen. Zuerst schienen sie gar nicht zu bemerken,
was mit ihnen geschah, doch als er den Korb aufhob und damit zur
Tür ging, begannen sie zu klagen.
Er stellte den Korb auf die Hintersitze des Bentley und fuhr aus
der engen Einfahrt in die Palmatiusstraße.
Nach einer dreiviertel Stunde hatte er Niedermanderscheid und die
Niederburg erreicht, die rötlich angestrahlt unter dem
sternendurchsetzten Nachthimmel lag. Weiter oben, in scheinbarer
Wildnis, erhob sich ein zweiter Bergfried – die ältere
Oberburg, einst Herrschaftssitz der Trierer Bischöfe. Arved
stieg aus. Stille hüllte ihn ein. Nur von oben, aus dem Ort
Manderscheid, drang das Geräusch eines Autos, das Bellen eines
Hundes – Klangtropfen, die zerperlt herabgeweht wurden.
Er hatte keine Ahnung, wie er zur Oberburg kam. Niemand war zu
sehen, den er hätte fragen können. Die massige Ruine der
Niederburg thronte über ihm wie ein halb vollendeter Gedanke. Ob
es hinter ihr einen Weg hinauf gab? Mit einem Seufzer nahm er den
Katzenkorb aus dem Wagen und lief den asphaltierten Weg rechts neben
der Burg entlang; links gab es nur Fels und Gebüsch. Die Tiere
kauerten in der hintersten Ecke ihres kleinen Gefängnisses.
Tatsächlich kam er, nachdem er ein idyllisch gelegenes Haus
hinter sich gelassen hatte, an eine Brücke, die über die
Lieser und zu einer großen Wiese führte. Arved schaltete
die Taschenlampe ein und tastete mit ihrem Lichtfinger die Umgebung
ab. Weit hinten glaubte er, einen Weg sich den Berg
hinaufschlängeln zu sehen.
Der Korb in seiner Hand wurde immer schwerer. Zum Glück
hatten die Katzen inzwischen Ruhe gegeben. Er redete leise mit ihnen
und versuchte sie auf diese Weise weiterhin ruhig zu halten.
Tatsächlich verengte sich die Wiese bald zu einem schmalen,
steil nach oben führenden Pfad, der von knorrigen Wurzeln
durchsetzt war. Ohne Taschenlampe wäre ich hier verloren
gewesen, dachte Arved, während er vorsichtig voranschritt und
trotz der kühlen Nachtluft ins Schwitzen geriet.
Immer weiter hinauf wand sich der Weg. Der Strahl der Lampe zerrte
Strünke, Büsche, umgestürztes, faulendes Holz und
scharfkantige Felsen aus der Finsternis, und
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