Hexenopfer
kennst, jemand …« Genny schnappte nach Luft. »Ein Mann wird sterben.«
»Jamie? Bringe ich ihn um?« Jazzys Stimme bebte vor Sorge.
Genny drückte Jazzys Hände, öffnete ihre Handflächen und legte sie erneut auf Jazzys. »Ich weiß nicht, wer er ist. Aber du bist für seinen Tod nicht verantwortlich. Er wird bald sterben. In ein paar Monaten. Sein Tod verletzt dich irgendwie.« Genny schauderte.
»Inwiefern? Wie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ist das alles, was du siehst?«
Genny antwortete nicht. Sie saß nur reglos da, sehr still, und wartete. Wenn es mehr zu sagen gäbe, würde es über sie kommen. Sie sah den Schatten eines Mannes, sein Bild war verschwommen. Genny spürte eine Freundlichkeit in ihm, eine zärtliche Liebe zu Jazzy. Und in diesem Augenblick wusste sie es.
»Danke, Gott«, flüsterte Genny.
»Was? Was?«
»Da ist ein Mann – nicht Jamie und nicht Jacob –, der dich glücklich machen wird. Er wird gut zu dir sein.«
»Werde ich ein für alle Mal frei von Jamie sein?«
Genny zögerte. »Ja. Ja, du wirst von ihm befreit sein.« Für einen Moment verzehrte die Dunkelheit sie. Eine schwarze, wirbelnde Wirklichkeit, die sie hineinzuziehen und einzuschließen drohte. Genny begriff und zog sich vor ihrer Macht zurück. Böse, nicht gut. Sie schlug die Augen auf. Ihr Körper erschlaffte.
Jazzy sprang auf. »Ist alles in Ordnung?«
Genny nickte. »Es geht schon wieder. Ich muss mich nur ein wenig ausruhen.«
»Vielen, vielen Dank.« Jazzy umarmte Genny. »Ich musste nur wissen, dass ich Jamie nicht umbringe, sondern ihn loswerde. Herauszufinden, dass es in meiner Zukunft einen guten Mann geben wird, der mich richtig behandelt, war eine Zugabe.«
Zwei Stunden später, als Jazzy gerade das Abendgeschirr abräumte, stellten sich Drudwyns Ohren auf, und er knurrte.
»Schon gut, mein Junge.« Genny langte zu ihm hinunter und kraulte ihm den Kopf. »Ich höre es auch. Jemand ist vorgefahren.«
»Hast du denn jemanden erwartet?«, fragte Jazzy.
Genny schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht, nein.«
»Was soll das heißen?«
»Soll heißen, ich habe niemanden erwartet, aber ich hatte irgendwie gehofft, dass … nun ja, dass Dallas Sloan vielleicht …«
Das laute Klopfen an der Haustür ließ Genny mitten im Satz verstummen.
»Wer es auch sein mag, er verlangt deine sofortige Aufmerksamkeit«, sagte Jazzy. »Du bleibst sitzen und ruhst dich aus. Ich sehe nach, wer es ist.«
Sitzungen wie die, die sie mit Jazzy gehabt hatte, kosteten sie Energie, doch für gewöhnlich erholte sie sich schnell, es sei denn, sie erlebte Visionen, die sie nicht unter Kontrolle hatte. Wenigstens konnte sie sich bei den Deutungen jederzeit zurückziehen.
Genny erhob sich und ging, begleitet von Drudwyn, aus der Küche. Als sie in die Diele trat, vernahm sie Stimmen.
»Kommen Sie rein. Ich glaube, Genny hat Sie erwartet«, sagte Jazzy. »Ich wollte gerade gehen. Ich muss wieder zurück in die Stadt und mich ums Geschäft kümmern.«
»Wegen mir müssen Sie nicht loshasten«, sagte Dallas. »Ich bin vorbeigekommen, um Genny um Hilfe zu bitten.«
»Was für eine Art von Hilfe? Sie sind doch nicht wegen einer Deutung hier? Wenn ja, dann …«
»Sei still!«, rief Genny. »Du sagst zu viel.«
Sie musste Jazzy Einhalt gebieten. Dallas Sloan glaubte nicht an Übernatürliches, glaubte nicht, dass Menschen wirklich einen sechsten Sinn hatten. Sie wollte ihn nicht abschrecken, bevor er sie kennengelernt hatte. Er brauchte die Möglichkeit, sich voll mit ihr zu verbinden, ihr zu vertrauen, bevor er an sie glauben konnte.
Dallas und Jazzy drehten sich um und starrten Genny an.
»Ich bin mir sicher, dass Dallas nicht deshalb hier ist. Er interessiert sich für nichts, das auch nur ansatzweise mit dem sechsten Sinn zu tun hat.« Genny lief durch die Diele, aber die rasche Bewegung machte sie schwindelig. Sie taumelte und stützte sich an der Wand ab, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jazzy.
Dallas schoss an Jazzy vorbei, direkt zu Genny. Seine großen Hände legten sich auf ihre Schultern. »Was ist los? Sie sehen aus, als würden Sie gleich ohnmächtig.«
Sie schaute in seine blauen Augen und lächelte. »Ich war einen Moment lang etwas benommen. Jetzt geht es wieder.«
»Sie hatten doch nicht eine dieser Visionen, oder?«, forschte er nach.
Sie schüttelte den Kopf. Er nahm die Hände von ihren Schultern, fuhr an ihren Armen entlang bis zu den Handgelenken und
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