Hexenschuss: Tannenbergs dreizehnter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Lotte.
»Genau die meine ich«, bestätigte Vicki. »Am schlimmsten war diese irre Nummer, bei der jede von uns eine Nacht alleine auf einem Hochsitz mitten im Wald verbringen musste.« Sie räusperte sich, spuckte aus.
Bei Rolla lösten diese Erinnerungen einen Anfall von Schüttelfrost aus.
»Jetzt kann ich es euch ja beichten«, verkündete Vicki: »Ich hab mir damals vor Angst fast in die Hosen gemacht und bin vor Mitternacht nach Hause geschlichen.«
»Ich doch auch«, prustete Rolla los.
»Ich hab’s auch nicht lange ausgehalten«, beichtete nun auch Lotte.
»Damit haben wir ja nun ein großes Geheimnis der unheimlichen Schwestern gelüftet«, sagte Vicki.
»Aber das andere große Geheimnis, das uns zusammenschweißt, werden wir niemals lüften, das ist uns allen klar, oder?«
»Natürlich, Lotte, wir sind doch nicht verrückt«, stellte Rolla in scharfem Tonfall klar.
»Ich werde dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen«, versprach Vicki.
Lotte lachte. »Na ja, bis dahin wird es glücklicherweise noch ein paar Jährchen hin sein.«
»Das will ich doch schwer hoffen«, meinte Vicki. »Schließlich haben wir noch einige Mistkerle auf unserer Liste, die ich alle nacheinander zur Strecke bringen werde. Weidfrausheil!«
»Apropos Liste«, sagte Lotte. »Zur Feier des Tages möchte ich euch oben am Gipfelkreuz einige neue Kandidaten vorschlagen.«
»Am Kreuz?«, fragte Vicki. »Das hat glatt was Symbolisches. Du bist einfach eine Kreativitätsgranate.«
»Danke für die Blumen, geliebtes Schwesterherz. Aber jetzt müssen wir wirklich los, sonst schaffen wir es nicht mehr bis Mitternacht«, drängte Lotte.
Wie ein ungeduldiges Rennpferd scharrte Vicki mit den Füßen und wieherte plötzlich. »Auf geht’s, Mädels, schwingt eure Hufe.«
»Du bist einfach ein verrücktes Huhn«, kommentierte Lotte schmunzelnd. »Wir nehmen den bequemen Weg durch den Wald, der zur Nordseite des Felsens hinaufführt, und gelangen von dort aus über einen Kamm zum Jungfernsprung.«
Rolla war immer noch nicht begeistert. »Ist das wirklich nicht gefährlich?«, fragte sie mit geschürzten Lippen.
»Nein, vertrau mir. Wenn du dich auf dem ausgetretenen Pfad hältst, ist der Aufstieg ein Kinderspiel«, versuchte Lotte, sie zu beruhigen.
Offensichtlich wurde ihr das Jammern der ängstlichen Freundin allmählich zu bunt, denn sie schaltete ihre Stirnlampe ein und marschierte munter drauf los. Schweigend folgten ihr die beiden anderen Frauen. Mit ihren Wanderschuhen durchpflügten sie das aufgehäufte Laub, kleine Äste zerbrachen unter ihren schweren Sohlen.
Die Geräusche schreckten Waldvögel auf. Die spitzen Schreie der Raubvögel zerschnitten die friedliche Stille, vom Felsmassiv her ertönten die lang gezogenen Rufe einer Nachteule, Eichelhäher krächzten.
Rolla lief es eiskalt den Rücken hinunter. Obwohl eigentlich nur für den Notfall gedacht, knipste sie zusätzlich zu ihrer Stirnlampe die Taschenlampe an. Sie versuchte, ihre Angst zu verdrängen, indem sie sich auf Vickis Fersen konzentrierte, die im Schein ihrer beiden Leuchten auf- und abwippten.
»Habt ihr gewusst, dass man Eichelhäher auch ›Polizei des Waldes‹ nennt?«, fragte Lotte über die Schulter hinweg.
»Nein«, kam es zweistimmig zurück.
»Aber uns werden sie garantiert nicht bei der Kripo anschwärzen«, scherzte Lotte. Sie war bestens gelaunt und freute sich auf die Überraschungen, die sie für ihre unheimlichen Schwestern vorbereitet hatte. Zudem hatte die Pressemeldung, nach welcher der Förster Kreilinger inzwischen seinen schweren Schussverletzungen erlegen war, ihrer ausgelassenen Stimmung das Sahnehäubchen aufgesetzt.
Der Forstweg mündete in einen schmalen Pfad, der sich durch einen alten Mischwaldbestand am Nordhang des Berges hinaufwand. Der ausgetretene Fußweg war mit Sandsteinen und Tannenzapfen übersät. Das glitschige Wurzelwerk und die bemoosten, feuchten Steinflächen erforderten volle Konzentration.
Linker Hand schoben sich mächtige Felsblöcke in den Pfad hinein. Deshalb mussten die Frauen nicht nur auf ihre Füße, sondern gleichermaßen auf ihre Köpfe achtgeben. Mit ihrer Stablampe leuchtete Lotte auf einen Buntsandsteinfelsen, der an einen Wachtturm erinnerte. Andere Felsen wiederum sahen aus wie versteinerte Spukgestalten.
Anschließend schickte Lotte den Lichtkegel nach rechts, wo es neben dem Weg steil den Abhang hinunterging. Unwillkürlich drückte sich Rolla nach links und kollidiert mit einem
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