Hexenseelen - Roman
Scherben … Ihre Handflächen bluteten und brannten, weil sie nicht sehen konnte, wohin sie griff, und sich verletzte. Den Geruch ihres eigenen Blutes konnte sie bald kaum noch ertragen.
Bis ihre Finger auf einen abgebrochenen Flaschenhals stießen. Er lag gut in der Hand, aber vor allem: Er versprach Schutz, gab ihr Zuversicht, sich zur Wehr setzen zu können. Wenn es darauf ankäme, würde sie kämpfen.
Doch der kurze Triumph wurde sogleich von der Stimme der Vernunft gedämpft. Was konnte sie damit schon groß ausrichten? Wie gegen die unzähligen Anhänger des Messias bestehen? Von den Dämonenträgern ganz zu schweigen.
Andererseits … sie musste keine Schlacht gewinnen. Es reichte, wenn sie damit den einen oder anderen ins Jenseits mitnehmen könnte. Der Gedanke erfüllte sie mit Genugtuung. Dass ihr Wagemut dabei auch ihren eigenen
Tod bedeutete, nahm sie gern in Kauf. Ihre provisorische Waffe fest umklammernd, zog sich Ylva in ihre Ecke zurück und wartete.
Wartete.
Wartete …
Vermutlich war sie irgendwann eingeschlafen, denn ein Krach an der Tür weckte sie auf. Ylva schreckte hoch und tastete nach dem Flaschenhals, der ihren Fingern entglitten war. Verflucht. Wo war er? Sie konnte ihn nicht finden!
Die Tür ging auf.
Jemand trat ein. Der Lichtkegel einer Taschenlampe huschte durch den Raum.
Hektisch tastete sie umher, bis ihr das Glas endlich in die Finger kam. Sie griff zu und versteckte es schnell hinter dem Rücken, ehe das Licht ihr in die Augen stach.
Schritte stampften die Stille nieder. Eine korpulente Figur näherte sich ihr.
Sie musste handeln. Jetzt!
Ylva sprang auf die Beine, schwankte, hielt aber das Gleichgewicht und stürzte sich auf den Feind.
Er packte sie an beiden Armen, noch bevor sie eine Gelegenheit bekam, mit dem Flaschenhals auszuholen. »Ylva. Du kommst mit.«
Erst jetzt erkannte sie ihn, und der Hass stieg in ihr auf wie Galle. Roland. Er schob sie zur Tür, die Waffe hatte er anscheinend nicht bemerkt. Ylva versuchte, sich seinem Griff zu entwinden, aber natürlich war er stärker als sie, viel zu stark.
Aber ich muss nicht gewinnen, ich muss ihn nicht besiegen - es reicht, wenn ich ihn verletze , rezitierte sie in Gedanken und sprach sich Mut zu. Es reicht, damit mein Tod nicht so sinnlos sein wird.
Sie fuhr herum und schlitzte ihm mit dem Glas den Hals auf. Er hatte es nicht kommen sehen, keuchte, überrascht und sogar erschrocken. Sein warmes Blut, das wie das aller Untoten stank, spritzte Ylva ins Gesicht. Es lief an ihm herab, tränkte seine Kleidung und tropfte auf den Boden. Sie schlug noch einmal zu, immer und immer wieder, zerfleischte seine Wangen, fuhr ihm über den Arm, den er zur Abwehr hob. Er rief ihr etwas zu, doch sie schlug weiter auf ihn ein, blind und taub vor Wut.
Roland holte aus. Mit einem Hieb schmetterte er sie von sich. Hart prallte Ylva gegen eine Wand und stürzte zu Boden, der Flaschenhals wurde ihr aus der Hand geschleudert und zerschellte. Der Wutanfall, der sie bei Kräften gehalten hatte, verebbte.
Etwas Warmes tropfte auf ihren Nacken. Ylva riss sich zusammen und schaute hoch, in der Überzeugung, gleich dem eigenen Tod entgegenzusehen. Über ihr stand Roland, schwankend, mit tiefen Schnitten übersät, und drückte sich eine Hand gegen die Wunde am Hals.
»Ylva«, röchelte er, und sie musste sich anstrengen, um ihn zu verstehen. »Warum?«
Sie befahl sich, nicht wegzuschauen, sondern direkt in sein fettes, entstelltes Gesicht zu blicken. »Du hast mich verraten! Den Clan, Conrad, du hast uns alle hintergangen! Dabei warst du mein Freund, ich habe dir vertraut!«
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte so vielen vertraut, und nun hockte sie hier allein, und es gab kein Entkommen.
»Bullshit.« Er brach neben ihr in die Knie und machte nicht einmal Anstalten, sich aufzurappeln. Mit jedem Tropfen Blut floss auch die Energie aus ihm, obwohl einige Schnitte bereits zu heilen begannen. Ylva konnte sehen, wie das verletzte Gewebe anschwoll, wie die Ränder der Wunden sich kräuselten, um sich zu schließen. Der Gestank nach Fäulnis und Tod ließ sie fast würgen.
»Bullshit«, wiederholte er gurgelnd. »Ich musste dich beschützen.«
»Beschützen?« Sie lachte auf, obwohl sie am liebsten geschluchzt hätte. »Was ist das für ein Schutz, wenn du mich dem Messias auslieferst?«
»Ich habe seine Schergen im Treppenviertel gespürt. Es waren viel zu viele. Wir hätten ihnen nicht entkommen können.« Seine Stimme wurde
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