Hexenseelen - Roman
bekommst dein Hexenkind«, versprach er, was er nicht versprechen durfte. Aber in diesem Augenblick war es egal, ob er die Mächtige belog. Hauptsache, er konnte Ylva und seine Leute retten. Wie die Hexe ihn für die Lüge bestrafen würde, war nicht von Belang.
Conrad spürte, wie sie lächelte, denn die Dunkelheit lächelte mit ihr. »Hervorragend. Dann steh auf, und wir machen eine kleine Spritztour durch das Schattenreich, sofern das dein Wunsch ist.«
»Ja, das ist es.« Conrad erhob sich.
»Doch ich muss dich warnen. Ich kämpfe nicht für euch, denn ein direkter Eingriff wäre mein Untergang. Was du auch vorhast, da musst du allein durch.«
Dann ist alles verloren , dachte Conrad und sagte bloß: »Verstehe.« Ihm blieb keine Wahl, egal, wie aussichtslos sein Unterfangen auch sein mochte.
»Wartet!«, mischte sich Alba ein. »Ich komme mit.«
»Du kannst dich doch kaum auf den Beinen halten«, erwiderte die Hexe.
»Du hast versprochen, mir Finn zurückzugeben, sobald du das Hexenkind hast. Wir haben den Pakt geschlossen. Ich komme mit, egal, welches Ende uns alle erwartet.«
»Wie du meinst.«
»Und ein wenig Verstärkung werdet ihr sicherlich auch gut gebrauchen können«, erklang es aus dem Flur. Conrad wandte überrascht den Kopf, obwohl er natürlich nicht sehen konnte, wer das sagte. Dafür konnte er aber die Aura wahrnehmen - Micaelas und die der restlichen Metamorphe. Eine Wendung, der er nicht recht trauen wollte. Die Biester gingen mit, um an der Seite eines Totenküssers zu kämpfen? Unmöglich.
Evelyns Gelächter donnerte durch die Bibliothek und ließ die Holzregale knarzen. »Was haben wir denn da?
Eine Katze, eine Zwergziege, eine Meise, eine Taube, ein Meerschweinchen und … einen Frosch. Ich bin schier überwältigt von dieser Übermacht.«
Schweigen. Dann meldete sich jemand: »Es ist kein einfacher Frosch, es ist ein Baumsteiger. Sein Sekret ist giftig. Außerdem hat Micaela uns in den letzten Tagen trainiert.«
»Worin?«, spottete die Mächtige. »Wie du deine Feinde dazu bringst, deinen Frosch abzulecken?«
»Krieg dich wieder ein«, erwiderte Micaela ruhig und gefasst. Eine Jägerin klang aus ihr, kein verstörter Metamorph ohne seine Königin. »Wenn ich mich nicht irre, hast du selbst mal ein Kaninchen gehabt. Wie ich gehört habe, muss man den Dämonenträgern den Kopf abschlagen. Ich denke, Conrad, das wirst du brauchen.« Sie drückte ihm ein Schwert in die Hand. »Ich hoffe, Maria wird nicht allzu sauer sein, dass ich mich einfach so in ihrem Waffenzimmer bedient habe.«
An seinem Hosenbein spürte Conrad Nibbles’ Krallen. Innerhalb von Sekunden thronte der Nager auf seiner Schulter. Er kraulte dem kleinen Rabauken den Nacken. »Du weißt aber schon, dass die Auswirkungen einer Reise durch das Schattenreich auf Tiere noch nicht gründlich genug erforscht wurden?«
Die Ratte quiekte ungeduldig. Es konnte losgehen.
Kapitel 30
S ie lag zitternd auf dem Boden in völliger Dunkelheit, atmete den Staub ein und hustete, bis sie beinahe erbrechen musste. Langsam kehrten ihre Sinne zurück. Sie roch die abgestandene, muffige Luft, schmeckte etwas, was ihre Zunge wie Asche bedeckte, fühlte die feuchte Kälte und den harten Beton unter ihr. Nur bruchstückhaft erinnerte sie sich an das, was passiert war, als hätte jemand ihr Gedächtnis wie unerwünschte Fotos zerrissen und die Fetzen in ihrem Kopf verstreut. Bizarre Bilder stiegen in ihr hoch: feindliche Grimassen, Hände, die sie festhielten, Böses, das in sie hineinschlüpfte, um in die Welt entlassen zu werden.
Wo bin ich?, dachte sie.
Die Antwort kam sofort, aus ihrem Inneren heraus, und entstammte dennoch einem fremden Bewusstsein: im Bunker. Immer noch.
Das sagte ihr nichts, provozierte bloß ihre Unruhe, weil sie sich anscheinend daran erinnern müsste. Sie rang innerlich mit der aufsteigenden Panik. Vermutlich machte es genauso wenig Sinn, sich zu erkundigen, wie sie hierhergelangt war. Vermutlich spielte es auch keine Rolle. So probierte sie es mit einer anderen Frage, von
der sie sich etwas mehr Erleuchtung versprach: Wer … wer bin ich?
Ylva. Unser Rattenmädchen.
Ratten. Ratten lebten im Dunkeln. Höchstwahrscheinlich auch in Bunkern. Vielleicht sollte dieser Ort sie bei weitem weniger ängstigen, als er es gerade tat. Sie dachte nach. Ein Name rief eine beruhigende Vertrautheit in ihr hervor, komischerweise war es nicht ihr eigener. C-c-c…
Conrad. Mein Gott, Mädchen, du bist kaum eine Minute bei
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