Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenseelen - Roman

Hexenseelen - Roman

Titel: Hexenseelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Krouk
Vom Netzwerk:
brach.
Rasch wandte er das Gesicht ab, als dürfte keiner bemerken, wie der Schmerz seine Züge entstellte. Aber natürlich bemerkte das jeder, vor allem Maria, die scharf Luft holte.
    »Du glaubst, ihr hättet mir Respekt gezollt? Indem ihr mich Gran Princesa nanntet oder Mylady ? Das hatte doch schon längst alles an Bedeutung verloren. An dem Tag, an dem ich in den Spiegel geschaut habe, wusste ich, dass sich etwas ändern musste. Ich hatte es satt. Ich wollte mich nicht mehr verstecken. Und Oya war so nett, mir einen Ausweg zu zeigen. Wenn die Menschen von unserer Existenz erfahren, wenn sie uns fürchten und ehren, ist es egal, ob sie mein Gesicht auf den Straßen erkennen oder nicht. Ich könnte wieder ich selbst sein. Frei.«
    »Ihr seid verrückt. Wir alle müssen uns verstecken, aber keiner von uns würde jemals …«
    »Verrückt? Du hast gut reden, Adrián. Wer warst du, als du gestorben bist? Ein Gastarbeiter. Ein Nichts! Aber kannst du dir vorstellen, wie schwer es ist, als Nachzehrer durch diese Welt zu streifen, wenn dein Gesicht in den Geschichtsbüchern abgebildet ist? Wenn dein Name zur Allgemeinbildung gehört? Ich bin als Untote auferstanden und musste fliehen, mich verstecken, bangen … Ich, Gran Princesa , wie du es sagst, oder: Großfürstin Maria Nikolajewna Romanowa, wie mich Millionen nannten.«
    »Aber es ist vorbei. Vor ein paar Jahren wurden alle Knochen der Zarenfamilie identifiziert, sogar per DNA-Analyse. Du hast nichts mehr zu befürchten. Es wird keine Gerüchte, keine Verschwörungstheorien mehr geben.«
Er ließ den Arm sinken. »Was willst du wirklich erreichen? Wieso verfolgst du den Clan? Wie konntest du … Alfred … und Conrad … Ich verstehe das nicht. Sollte das bloß eine Rache an mir sein, weil ich eine andere liebe?« Er biss sich auf die Lippe, als wäre ihm Letzteres versehentlich herausgerutscht, doch sogleich fing er sich wieder. »Und kümmert dich die Welt da draußen gar nicht, die Oya vernichten will?«
    Oya schmunzelte und hob mahnend den Zeigefinger. »Ich will die Welt nicht vernichten, ich will sie retten. Siehst du nicht, was die Menschen damit anstellen? Es ist höchste Zeit, dass jemand sie mit eiserner Hand regiert. Menschen …«
    Maria schnaubte. »Ja, Menschen … ich habe am eigenen Leib erfahren, wozu Menschen wirklich fähig sind. Sie haben kein Recht auf Gnade. Wie sie keine Gnade für mich und meine Familie übrig hatten.«
    Adrián schwieg einen Moment. Dann setzte er wieder an, in einem lächerlichen Versuch, die Nachzehrerin doch noch zur Vernunft zu bringen: »Es ist schon so unglaublich lange her. Die Verantwortlichen sind tot. Meine Güte, nicht einmal das Regime existiert noch! Ich habe sogar gelesen, Eure Familie wäre bereits rehabilitiert. Um 2008 muss das gewesen sein, als der Oberste Gerichtshof zugegeben hat, dass Ihr, Eure Eltern und Geschwister Opfer der Kommunisten wart. Die russischorthodoxe Kirche hat Euch sogar heiliggesprochen, wenn ich mich nicht irre.«
    Wütend stieß Maria Ylva von sich, die stolperte und zu
Boden fiel. »Und das soll jetzt alles wiedergutmachen, oder wie?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Dass sie uns in der Nacht in einen Keller getrieben haben, zu unserer eigenen Sicherheit, wie sie sagten. Um dann loszuschießen, ohne Sinn und Verstand. Als der Kugelhagel endlich vorbei war, haben meine Schwestern, mein Bruder und ich noch gelebt. Unsere Henker sind mit Bajonetten auf uns losgegangen, sie haben uns regelrecht zerfleischt. Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis keiner von uns mehr atmete. Und jetzt sag mir, was rechtfertigt diese Grausamkeit? Warum mussten wir so leiden?« Die letzten Worte hatte sie herausgeschrien, dann verebbte der Zorn. Schwer hob und senkte sich ihre Brust. Mehrere Minuten lang schwieg Maria und starrte mit leerem Blick vor sich hin. »Schon wenige Stunden danach wachte ich auf, ich allein, eine Verfluchte, eine Nachzehrerin. So viel Wut, die ich vor meinem Tod in mich aufgenommen hatte, so viel Verbitterung und Leid ließen mich nicht lange ruhen. Während der Inhaftierung meiner Familie hatte ich so einige Verbindungen zu den Wachen aufgebaut, als hätte ich geahnt, was ich war und dass ich es noch brauchen würde. Dafür hatte meine Mutter mich zusammen mit Olga und Tanja gemieden, ja, gar verachtet. Aber nach meinem Tod konnte ich meine Gier an den Wachen stillen. Schnell haben unsere Peiniger verstanden, was abging, warum einige Leute plötzlich ohne ersichtlichen Grund

Weitere Kostenlose Bücher