Hexenseelen - Roman
schwächer. »Der Erlöser sollte glauben, ich hätte die Seiten gewechselt und ihm dich als Geschenk gebracht.«
Sie drückte sich gegen die Wand. Zitterte. »Gib es zu, du wolltest deine eigene Haut retten!«
»Ich wollte eine Chance haben, dich rauszuholen! Ich wollte, dass er … dass er mir glaubt … mich unbeobachtet lässt … und ich eine Gelegenheit bekomme … jetzt … mit dir … wegzulaufen …« Er sackte zusammen, krümmte sich in seiner eigenen Blutlache auf dem Boden und versuchte immer noch, den Schnitt am Hals zuzudrücken.
Wie versteinert starrte Ylva ihn an. »Ich glaube dir nicht. Du lügst!«, stieß sie mühsam hervor.
»Das ist jetzt unwichtig. Du musst hier weg. Hörst du?«
»Du … du … lügst«, hauchte sie und spürte, wie Tränen ihre Wangen hinabliefen. Er musste lügen. Denn sonst bedeutete das … Nein. Unmöglich. Hatte sie wirklich ihren besten Freund niedergestochen, der gerade dabei war, sie den Klauen des Messias zu entreißen?
Mit bebenden Fingern tastete er umher, bis er die Taschenlampe ergriff. Diese schob er Ylva in die Hand. »Geh … Beeil dich. Die Schergen brüten etwas aus. Eine … eine bessere Gelegenheit … wirst … nicht haben.«
Sie beugte sich über ihn und schluchzte. »Nein, ich kann dich hier nicht allein lassen! Oh, Roland. Was … was habe ich bloß getan!«
Ein schwaches Lächeln hellte seine Augen auf, die er kaum noch offenzuhalten vermochte. »Ich habe meine Rolle zu gut gespielt.«
»Roland …«
»Lauf. Rette dich.«
»Nein, ich …«
»Ich sterbe. Für dich … bin ich …«
»Es tut mir so leid. Roland!«
»Schon … okay …« Er holte tief Luft, rang sichtlich mit sich selbst um die letzten Quäntchen Lebensenergie. »Wir Nachzehrer sind wie Unkraut. Wir kehren wieder. Und nun mach schon - tu wenigstens ein Mal, was ich dir sage.«
Ylva wusste nicht, wie sie auf die Beine kam, wie sie fortging und irgendwann mit den sinnlosen Bemühungen aufhörte, Rolands Blut von sich abwischen zu wollen. Wie betäubt stolperte sie eine gefühlte Ewigkeit lang durch das Labyrinth des Bunkers und suchte nach einem Ausgang. Bei jedem fremden Geräusch zuckte sie zusammen und leuchtete hektisch mit der Lampe umher. Manchmal glaubte sie, Stimmen zu hören oder gar … Kampfgeräusche? Schüsse? Dann stürzte sie in die entgegengesetzte Richtung, bemerkte zwar, wie sie im Kreis lief, machte aber nicht halt. Bloß nicht stehen bleiben! Weg … weg von den Schuldgefühlen, weg von dem Grauen.
So findest du nie den Ausgang , rauschte es ihr durch die Adern.
In ihrer Verzweiflung bemerkte sie den Tumult eines Kampfes irgendwo vor ihr fast zu spät. Wäre sie um die Ecke gelaufen, hätte sie sich mittendrin wiedergefunden. Aber zum Glück konnte sie noch ihren Lauf bremsen und rannte den Korridor zurück, den sie gekommen war, obwohl die Beine sie kaum noch trugen und ihr Geist immer mehr resignierte.
Da tauchte eine Silhouette direkt vor ihr auf. Ylva schrie auf, konnte aber nicht mehr ausweichen und lief direkt in die Arme, die sich sogleich um sie schlossen. Wie wild trat und schlug sie nach der Person, die sie hielt, bis Worte in ihr benebeltes Hirn durchsickerten: »Ist schon gut, schon gut! Ich bin’s.«
Sie hielt inne. Begriff.
Spürte Erleichterung.
»Maria!« Ylva konnte ihrem Glück kaum trauen. Endlich war sie nicht mehr allein, nicht mehr verloren. »Maria! Maria! Maria …« Ununterbrochen stotterte sie den Namen, dessen Klang allein ihr Hoffnung und Mut spendete.
»Ja, ich bin’s. Beruhige dich, okay?«
Sie nickte, doch noch war es nicht vorbei, noch befanden sie sich inmitten ihrer Feinde. Schritte ertönten. Jemand lief direkt auf sie zu. Ohne Ylva loszulassen, stellte sich Maria in Kampfposition.
Aber es war Adrián.
Ylva wusste nicht, ob sie vor Erleichterung lachen oder weinen sollte. Sie wäre ihm vermutlich sogleich um den Hals gefallen, wenn Marias Umarmung sie nicht daran gehindert hätte … wenn sie sich nicht so erschöpft gefühlt hätte …
Ob Conrad auch hier irgendwo war? Nein, hoffentlich nicht. Die Vorstellung, er könne wieder in feindliche Hände geraten, brachte sie an den Rand des Wahnsinns. Ganz egal, ob er sie betrogen hatte oder nicht, sie wollte ihn in Sicherheit wissen.
»Anscheinend sind wir zu spät gekommen«, meldete der Nachzehrer mit belegter Stimme. Sein Blick erfasste Ylva. » Gran Princesa … Ihr habt sie gefunden! Wunderbar, dann nichts wie weg hier. Es sind einfach viel zu viele, und
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