Hexenseelen - Roman
bestimmt einen anderen Weg, um sie zu rufen.«
»Ich glaube, ihr habt keine Zeit für Experimente. Nicht wahr?«
Ja, wie viel Zeit blieb ihnen noch? Conrad konzentrierte sich auf sein Âjnâ, versuchte den Kontakt zu seinen Leuten herzustellen, und fiel ins Nichts. Er konnte sie nicht erreichen, keinen Einzigen von ihnen. War es vorbei? Alles verloren?
»Das kann einfach nicht sein«, flüsterte er.
Linnea schlich sich an ihn heran. Ihre kalte, feuchte Hand fuhr ihm über die Wange. »Ich liebe dich.«
Das konnte unmöglich ihr Ernst sein, nicht in dieser
Situation! Conrad schlug ihren Arm beiseite, so hart, dass dieser gegen ein Bücherregal schlug.
»Hörst du denn nie damit auf?«, schrie er zum ersten Mal mit all seiner Wut, so dass er das Gefühl hatte, seine Stimmbänder würden reißen. Nibbles fauchte und sprang von seiner Schulter. Auf dem Parkett ertönte das Klackern der winzigen Krallen. »Es wird niemals etwas zwischen uns sein. Ich gehöre Ylva, nur ihr allein. Und wenn du …«
»Ich weiß.« Sie legte ihm etwas in die Hand und schloss seine Finger darum. Plastik. Ein Griff. Was führte sie im Schilde?
»Linnea …«
»Ich mache es nicht für sie und nicht für die Rettung dieser Welt, das musst du wissen. Ich mache es für uns beide, damit du immer daran denkst, was ich für dich getan habe.«
Ihre Lippen berührten die seinen. Dann stieß sie mit seiner Hand zu, keuchte und wäre zusammengesackt, wenn er sie nicht aufgefangen hätte.
Der Geruch des Blutes stieg ihm in die Nase. Linneas Gewicht lastete auf seinen Armen. Was war gerade passiert? Er weigerte sich zu glauben, was er da getan zu haben schien.
Vorsichtig bettete Conrad sie auf den Teppich und tastete sie ab. An ihrem Bauch stießen seine Finger auf eine warme, klebrige Lache, aus deren Mitte der Plastikgriff ragte. Ein Messer! Also täuschte er sich nicht. Er hatte sie erstochen!
»Linnea …«
Ihre Aura flackerte und trübte sich, die Farben verflossen ineinander zu einem fahlen Gemisch. »Ohne mein Seelentier kann ich nicht leben. Mein Verstand lässt mich im Stich. Du lässt mich im Stich. So ist es besser für alle.« Linneas Atem ging rasselnd, und ihr Lispeln schien fast darin unterzugehen: »Alba … rufe Evelyn … jetzt … solange das Blut fließt.«
Wie verstört begann die junge Frau zu rezitieren, stotterte und verhaspelte sich. Von den fremdartigen Lauten schwirrte Conrad der Kopf. Bestürzt beobachtete er, wie die Farben von Linneas Aura immer schwächer wurden, wie das Leben aus ihr wich. Du kannst sie retten. Ihr die nötige Energie einflößen, den Krankenwagen rufen und … sie retten, verdammt, dachte er .
Aber er tat nichts, außer ihren Kopf in seinem Schoß zu halten.
Albas Singsang steigerte sich in seinem Tempo und hallte in der Bibliothek, obwohl hier nichts hallen durfte. Die Dunkelheit um Conrad herum schien sich zu bewegen, wie ein lebendiges Wesen gierte sie nach Blut, saugte und leckte daran.
»Es muss … mehr Blut fließen«, japste Linnea, »um … Evelyn hierherzulocken.«
Noch einmal umschloss sie mit Conrads Hand den Plastikgriff und zog die Klinge aus der Wunde. Er protestierte nicht einmal, ließ sie gewähren. Das Messer fiel zu Boden. Linnea umklammerte seine Finger und stammelte: »Ich liebe dich«, was in seinen Ohren nach einem
verzweifelten Hilferuf klang. Aber er half ihr nicht. Er ließ sie sterben.
Die Dunkelheit verwandelte sich in einen schwarzen Nebel, vibrierte mit jedem Wort Albas, mit jedem Herzschlag Linneas. Conrad hielt inne. Egal, wohin er fasste, schienen seine Finger im Blut zu versinken. Dann verebbte das Leben, die Aurafarben erloschen, und im gleichen Augenblick spürte er die Präsenz der Mächtigen.
»Oh. Du hast mir zuliebe meine eigene Mutter erstochen. Wie großzügig. Das bekommt man auch nicht jeden Tag serviert.«
Mit zittrigen, von Blut glitschigen Fingern tastete Conrad nach Linneas Puls. Obwohl es töricht war. Er hatte sie umgebracht.
»Habt ihr das Hexenkind?«, holte die emotionslose Stimme der Mächtigen ihn ein. Diese Gefühllosigkeit tat ihm leid. Für Adrián und für seine Tochter, die er im Stich gelassen hatte. Wie sehr sie sich von der Evelyn entfernt hatte, die sich einst gewünscht hatte, eine Nachzehrerin an der Seite ihres Geliebten zu sein! Ob sie noch etwas zu fühlen imstande war? Ob Adrián und sie eine Chance hätten?
»Conrad! Ich habe dich etwas gefragt.«
»Es geht um den letzten Kampf. Bring mich hin, hilf uns, und du
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