Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
nicht plötzlich schlecht geworden, so furchtbar schlecht, dass sie nur noch ganz schnell aus dem Festzelt hinaus kommen wollte, torkelnd, kriechend, egal wie, nur schnell hinaus und hinters Zelt, um sich zu übergeben, minutenlang alles auszukotzen, was sie getrunken hatte. Und hinterher wäre Claudia noch da gewesen. Aber Claudia war verschwunden gewesen und auch der Mann. Und sie hatte sie gesucht, auf dem ganzen Festplatz hatte sie ihre Freundin gesucht, aber vergeblich. Erst am nächsten Tag hatte sie Claudia wieder getroffen, aber da war die irgendwie ganz anders gewesen, wie eine Fremde, und hatte nichts gesagt, kein einziges Wort über das, was geschehen war. Und auch Christina hatte nichts gesagt, niemandem hatte sie etwas erzählt, weil sie sich geschämt hatte, und weil ihre Elternihr ohnehin kein Wort geglaubt hätten. Blöde Ausreden, hätten sie gesagt, Alkohol hätte sie getrunken, hätten sie ihr vorgeworfen, das wäre ja wohl ganz offensichtlich. Erst vierzehn und schon den ersten Vollrausch, das muss man sich einmal vorstellen, was für ein Wahnsinn. Genieren müsse man sich für sie, und dass sie es gleich gewusst hätten, dass sie in ihrem Alter noch zu unreif sei und zu dumm. Ja, geschwiegen hatte sie, auch als sie ein paar Monate später auf einem Bild in der Zeitung den Mann wieder erkannt hatte. Den Mann, der mit Claudia verschwunden war. Und den man verhaftet hatte, weil er sich in der ganzen Umgebung auf Festen an junge Mädchen herangemacht und ihnen heimlich Betäubungsmittel ins Getränk gegeben hatte, um sie dann in sein Auto zu zerren und im Wald zu vergewaltigen. Und eine Dreizehnjährige hatte er in seinem Haus gefangen gehalten, tagelang missbraucht und schließlich umgebracht, der Mann, der auch Claudia und Christina irgendwas in ihre Limos geschüttet hatte. Und dem sie nur entkommen war, weil ihr Magen auf einmal all das von sich geben musste, was sie an diesem Nachmittag durcheinander getrunken hatte. Christinas schwacher Magen war ihr Schutzengel gewesen. Wer weiß, sonst wäre sie vielleicht schon lange tot. Oder verrückt wie Claudia, die heute noch bei ihren Eltern lebt und Angst vor Menschen hat und immer wieder Schreianfälle bekommt, und keiner weiß, warum.
„So, jetzt weißt du’s“, sagte Christina und sah Wagner ins Gesicht. „Jetzt weißt du, warum ich finde, dass man solche Sachen gar nicht ernst genug nehmen kann. Was du als Panikmacherei bezeichnest, passiert wirklich. Jeden Tag passiert das. Also bitte, Klaus, ihr müsst die Mädchen finden, du und deine Kollegen. Ganz schnell müsst ihr sie finden. Das musst du mir versprechen, Klaus. Bitte, versprich mir das!“
Wagner schwieg. Was sollte er antworten? Solche Geschichten kannte er zu Dutzenden. Dass eine davon ausgerechnet Christinazugestoßen war, machte ihn zwar betroffen, aber es änderte nichts daran, dass sie die Ausnahme von der Regel waren. Aber das konnte er Christina natürlich nicht sagen. Nicht jetzt, wo sie sich gerade wieder versöhnt hatten. Nein, solch ein Trottel war er nun wirklich nicht. Und schon gar nicht konnte er ihr sagen, dass seine Kollegen es gar nicht schätzen würden, wenn er sich plötzlich einmischte, noch dazu jetzt während seines Urlaubs.
„Die Polizei tut alles, was in ihrer Macht steht, Chris“, sagte er und wunderte sich, wie leicht ihm diese Lüge von den Lippen ging. „Versprochen. Hoch und heilig. Ich werd’ mich noch heute persönlich darum kümmern. Verlass dich drauf. Ehrenwort, Chris.“
Christina schenkte ihm einen dankbaren Blick. Und jetzt Themenwechsel, dachte Wagner. Bitte, Themenwechsel, das Regenwetter ist schon trist genug.
„Hey, Chris! Ich hab mich ja noch gar nicht richtig bedankt“, rief er und machte ein Gesicht, von dem er hoffte, dass es fröhlich aussah. „Meine neue Tasse! Einfach super, wirklich! Danke, danke, danke!“
„Komm, Klaus. Ist doch nichts Besonderes. Gibt’s in jedem zweiten Supermarkt.“
„Ja, aber dass du daran gedacht hast! Also, für mich ist sie was Besonderes. Einfach, weil sie von dir ist! Das macht sie zum … zu einem … na, eben zu was Besonderem … etwas ganz, ganz Wertvollem!“
„Jetzt übertreib’ nicht, Klaus.“
Christina lachte. Immerhin, das hatte er geschafft. Jetzt musste er noch eins draufsetzen. Irgendwas, über das sie sich freuen würde. Vielleicht sollte er sie einladen. Nein, nicht zum Essen. Von Gasthäusern hatte sie bestimmt genug. Irgendwas anderes. Herrgott, es konnte doch nicht so
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