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Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)

Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)

Titel: Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Koch
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und presste ihre Hände gegen ihre Stirn. Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, und in ihrem Kopf breitete sich ein dumpfes, quälendes Pochen aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder aufstehen und sich ins Badezimmer schleppen konnte. Sie stützte sich am Waschbecken ab und sah in den Spiegel.
    Ja, sie hatte genau getroffen. Die Platzwunde hatte sich wiedergeöffnet, und eine dünne Blutspur zog sich herunter bis zur rechten Augenbraue und weiter über die Schläfe. Sie wusch das Blut vorsichtig mit kaltem Wasser ab, griff nach dem Tiegel mit der Haussalbe und schmierte sie fingerdick auf die offene Wunde. Das Blut verfärbte die dicke weißgelbe Schicht hellbraun, aber der Blutfluss stockte. Nur der pochende Schmerz hielt an.
    Maria Wagner ging zurück zur Küche und suchte die Kante der Tür ab. Und da war er, der dunkle Blutfleck auf dem Holz. Sie atmete auf. Jetzt hatte sie den Beweis. Jetzt musste ihr Sohn ihr einfach glauben. Jetzt hatte er keinen Grund mehr, an ihrem Verstand zu zweifeln. Die Schmerzen konnte sie aushalten, Hauptsache, ihr Sohn würde sie in Ruhe lassen.
    Vielleicht würde er heute ohnehin nicht kommen. Es regnete, und da war er nicht gern mit dem Fahrrad unterwegs. Ludwig hatte ihn deshalb immer ausgelacht. Hatte ihn gefragt, ob er aus Zucker sei. Nein, heute würde er bestimmt nicht kommen. Und das war auch besser so. Sie hatte genug von seinen Vorwürfen. Genug davon, dass er sich ständig in ihr Leben einmischte. Dass er immer alles besser wissen wollte und ihr Angst machte. Nein, heute nicht. Sie konnte jetzt eine Kopfschmerztablette nehmen, sich ins Bett legen und in Ruhe schlafen. Und das war gut. Ja, das war sogar sehr gut.

D er Garten dampfte. Im Regen hatte sich der Boden voll gesogen, Millionen Tropfen glitzerten auf den Blättern, und jetzt verdunstete die schwere Feuchtigkeit in der Mittagssonne. Es roch nach warmer, nasser Erde, warmer, nasser Wiese, warmen, nassen Sträuchern und Bäumen, ein guter Geruch, der in Wagner Erinnerungen weckte. Erinnerungen an einen Kindheitssommer, einen Sommer vor fünfzig Jahren, seinen großen, glücklichen Urwaldsommer. Es war der schönste Sommer seines Lebens gewesen, kein Sommer danach war daran herangekommen, kein Urlaub am Meer, keine Fernreise. Dieser Sommer war einfach perfekt gewesen, unschlagbar, obwohl er nur zwei Wochen gedauert hatte. Zwei Sommerferienwochen, in denen Wagner der unumschränkte Herrscher des Gartens gewesen war.
    Wagners Vater hatte damals einen Blinddarmdurchbruch erlitten und war im Spital gelegen. Julia war zur selben Zeit von rätselhaften Fieberanfällen heimgesucht worden und hatte hinter zugezogenen Vorhängen in ihrem Zimmer liegen müssen. Und Wagners Mutter war den ganzen Tag im Einsatz gewesen. Entweder hatte sie Julia mit Fieber senkendem Tee und kalten Essigumschlägen versorgt, oder sie war ins Krankenhaus gefahren, um Vater zu besuchen.
    Vater und die kleine Schwester außer Gefecht gesetzt in ihren Krankenbetten und Mutter ausschließlich in Sorge um die beiden, etwas Besseres hätte ihm damals gar nicht passieren können, dachte Wagner und spürte plötzlich wieder einen Hauch dieses unglaublichen Freiheitsgefühls, das er als Neunjähriger erlebthatte: Endlich kein Vater, der ihm ständig vorschrieb, was er zu tun und zu lassen hatte. Endlich keine Schwester, mit der er sich abgeben musste. Endlich keine Mutter, die ihn dauernd zur Ordnung rief. Endlich ein bisschen Chaos – obwohl er dieses Wort damals noch gar nicht gekannt hatte.
    Wagner zog seine Schuhe und Socken aus, krempelte seine Hosenbeine hoch und lief durchs kniehohe nasse Gras. So einfach kann Glück sein, dachte er, so verdammt einfach! Ein paar Sträucher, die wild zu wuchern beginnen, kaum dass ihnen niemand mehr mit der Gartenschere zu Leibe rückt, und hinter denen man sich verstecken und sein Dschungellager einrichten kann, in dem man dann ungestört tagelang auf einer alten Decke auf der Erde liegen darf und nichts zu tun hat, als durch die Blätter in den Sommerhimmel zu blinzeln und zu träumen, bis die Apfelbäume und die Zwetschkenbäume und die Stachelbeerstauden zum Urwald werden und die Baumstämme zu Elefantenbeinen, die Regenwürmer zu Riesenschlangen und Nachbars Katze zum Panther, auf den man dann anlegt und peng! peng! peng! auf Jagd geht, Herrgott, mehr braucht ein Neunjähriger doch nicht! Und wenn es dann noch eine Wäscheleine gibt, vom Lederapfelbaum zum Weichselbaum gespannt und mit einem

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