Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
Kaffeeautomaten stellen. Christina hielt ihn zurück.
„Warte. Ich hab was für dich.“
Sie stellte ihre Tasse ab und lief ins Wohnzimmer. Als sie zurückkam, hatte sie ein triumphierendes Lächeln aufgesetzt und trug mit ausgestreckten Händen eine Tasse wie eine wertvolle Trophäe vor sich her. Eine große, rote Kaffeetasse, auf der in verschnörkelten Buchstaben der Name „Klaus“ stand.
„Für dich, Klaus. Die wollte ich dir schon gestern geben.“
„Mein Gott, Chris“, rief Wagner. „Das ist ja wie Weihnachten und Geburtstag auf einmal!“
„Besser“, sagte Christina. „Das ist Versöhnung. Einverstanden?“
„Einverstanden.“
Und nachdem sie mit ihren Tassen wie mit Sektgläsern angestoßen und sie in einem Zug ausgetrunken hatten, schenkte Wagner frischen Kaffee nach, und dann gingen sie mit ihren Tassen ins Wohnzimmer. Christina kauerte sich wieder mit angezogenen Beinen aufs Sofa und ließ ihren Blick durch Zimmer wandern.
„Hat sich nicht viel verändert bei dir, oder?“
„Nö. Alles wie gehabt.“
„Und bei der Polizei? Irgendwelche aufregenden Fälle?“
„Nicht dass ich wüsste.“
„Ehrlich? Nichts?“
„Klar. Wieso fragst du?“
„Na ja, was ist zum Beispiel mit diesen beiden Mädchen? Das ist doch ein Wahnsinn, oder?“
Wagner hob abwehrend die Hände.
„Nein! Fang’ du nicht auch noch damit an, Chris! Zwei Ausreißerinnen, sonst nichts. Die tauchen vermutlich ganz von selber wieder auf. Glaub doch nicht alles, was in der Zeitung steht.“
„Und wenn’s vielleicht doch stimmt?“
„Sicher nicht. Ganz sicher nicht. Kein Wort wahr. Alles nur künstlich hochgespielt. Reine Panikmacherei.“
„Das heißt also, ihr nehmt die Sache nicht ernst.“
„Natürlich nehmen wir sie ernst.“
„Aber möglicherweise nicht ernst genug.“
„Also bitte, Chris, was soll das? Willst du jetzt einem alten Polizisten erklären, wie er seine Arbeit zu machen hat oder was? Außerdem hab ich Urlaub. Zweckdienliche Hinweise bitte an die nächste Polizeiinspektion.“
„Bitte, Klaus. Werd’ nicht ironisch, ja?“
Christina umschlang ihre Knie noch fester, als würde sie dahinter in Deckung gehen, und richtete ihre Augen auf einen Punkt, der in weiter Ferne zu liegen schien, irgendwo jenseits der Wohnzimmerwand.
„Ich hab das nie jemandem erzählt, Klaus. Aber ich weiß, was einem als Mädchen passieren kann. Ich weiß, wie schnell das gehen kann, wenn man nicht aufpasst. Ich weiß, wozu Männer im Stande sind.“
„Chris? Du?“
„Ja, Klaus. Ich war damals genau so alt wie die beiden Mädchen. Vierzehn. Aber ich hab gerade noch Glück gehabt. Mehr Glück als meine Freundin Claudia. Einen Schutzengel, wenn du so willst.“
Christina löste die Umklammerung ihrer Knie und holte ihre Zigarettenpackung aus der Handtasche.
„Scheiße. Leer.“
„Moment. Ich hab noch welche.“
Wagner stand auf und brachte aus der Küche Aschenbecher und Zigaretten. Dann zündete er sich zwei Zigaretten an und reichte eine an Christina weiter. Christina nahm einen langen, tiefen Zug, umschlang mit einem Arm wieder ihre Knie, rauchte und blickte auf die Zigarettenglut, aus der sich blasser Rauch kräuselte. Und dann erzählte sie ihre Geschichte.
Die Geschichte von Christina und Claudia, die in Anthering aufgewachsen waren, einem Dorf nördlich der Stadt. Die Geschichte von zwei Freundinnen, die ihren Eltern so lange mit ihren Bitten auf die Nerven gegangen waren, bis die ihnen endlich erlaubt hatten, aufs berühmte Antheringer Feuerwehrfest zu gehen. Zwei Mädchen, die glücklich gewesen waren und ausgelassen und die den Trubel im Festzelt genossen und sich zum ersten Mal in ihrem Leben wie Erwachsene gefühlt hatten. Weil sie zum ersten Mal erlebt hatten, dass ihnen erwachsene Männer Komplimente machten und ihnen sagten, dass sie hübsch sind, und sie auf einen Drink einluden. Zwei Mädchen, die trotzdem vernünftig geblieben waren und immer nur Cola getrunken hatten und Orangenlimonade und Apfelsaft. Ja, sie waren vernünftig gewesen, weil sie ihren Eltern versprochen hatten, keinen Unsinn zu machen und auf sich aufzupassen. Aber sie hatten wohl zu wenig aufgepasst, denn sonst hätte sich Christina nicht plötzlich so schwindlig gefühlt und müde. Und um sie herum hätte sich nicht alles zu drehen begonnen, und sie hätte nicht alles so verschwommen gesehen, die bunten Lichter und Claudia und auch den Mann, der seinen Arm um Claudias Schultern gelegt hatte. Und es wäre ihr auch
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