Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
feststellen, dass er seinem Vater sogar äußerlich immer ähnlicher wurde, und das erschreckte ihn.
Aber möglicherweise erklärte es, warum seine Mutter ihn immer häufiger für seinen Vater hielt. Schmalspurpsychologie. Was wusste er schon davon, was in seiner Mutter vorging. Was wusste er überhaupt von seiner Mutter? Dass sie als Mädchen eine schöne Stimme gehabt und davon geträumt hatte, Opernsängerin zu werden, das hatte sie ihm einmal erzählt. Aber dass das Leben halt etwas anderes mit ihr vorgehabt hatte, und dass man das Leben nehmen muss, wie es kommt. Den Krieg, die Liebe, das Haus, die Kinder. Und sonst? Was wusste er sonst von ihr? Sie war einfach immer nur seine Mutter gewesen. Einfach da. Ganz selbstverständlich. Nichts, worüber er jemals groß nachgedacht hätte, außer, wenn ihm irgendetwas nichts gepasst hatte. Und jetzt war sie eine alte Frau. Eine alte Frau in einem alten Haus mit alten Gedanken und einem alten Leben, das langsam in seineBestandteile zerfiel und durcheinander geriet wie Puzzlesteine. Man muss das Leben nehmen, wie es kommt, hatte sie gesagt. Wer war er, um sich in ihr Leben einzumischen, von dem er nichts wusste?
Wagner blickte aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne brach durch die Wolken. Schon wieder wie im Kino, dachte er. Irgendwie melodramatisch. Chris würde es vermutlich gefallen.
E in grauer Tag. Was für ein schrecklich grauer Tag! Regen prasselte unablässig gegen die Fensterscheiben. Wie ein Echo der Hoffnungslosigkeit, die Maria Wagner schon seit dem Morgen quälte.
Der Bluterguss über ihrem rechten Auge wollte nicht abklingen. Nicht einmal die Haussalbe aus der Biberapotheke half, und die war doch sonst ein richtiges Wundermittel. Wenn sich ihr Mann bei der Arbeit am Haus oder im Garten die Hand verletzt hatte, oder wenn Klaus mit aufgeschürften Knien von der Schule nachhause gekommen war, ein bisschen Haussalbe drauf, und schon war alles in kürzester Zeit wieder verheilt. Nur bei diesem Bluterguss mit der kleinen Platzwunde in der Mitte schien die Haussalbe nichts zu nützen. Und das war nicht gut, nein, das war gar nicht gut. Weil ihr Sohn würde sicher wieder von ihr wissen wollen, wo sie sich diese Wunde zugezogen hatte. Und dann müsste sie wieder beteuern, dass sie sich daran nicht erinnern könne. Ein Mensch, der seine fünf Sinne noch beieinander hat, weiß doch, wann und wo er sich verletzt hat, würde er sagen. Und sie wusste, sie würde wirklich den Eindruck machen, als würde sie langsam verblöden. Aber genau das durfte er auf keinen Fall von ihr denken.
Aber wenn ich ihm die Wahrheit sage, dachte Maria Wagner, wenn ich ihm erzähle, dass mich eine dieser Pflegerinnen geschlagen hat, eines dieser verfluchten Weiber, die er mir ins Haus geschickt hat, dann wird er mir erst recht nicht glauben. Dieses Biest, das mich damals bestohlen hat, hat er ja auch in Schutz genommen. Hat gesagt, ich bilde mir das alles nur ein. Also, wassoll ich tun, damit ich in seinen Augen nicht dastehe wie eine schwachsinnige, alte Frau?
Maria Wagner zermarterte sich das Gehirn. Sie musste unbedingt einen Ausweg finden, irgendeine harmlose Begründung für ihre Verletzung. Etwas, das ihren Sohn überzeugen würde, weil sie es ihm beweisen könnte. Irgendwas, das jedem Menschen passieren konnte.
Sich den Kopf anstoßen zum Beispiel. Ja, das war gut. Sie hatte sich den Kopf angestoßen. Gegen die offene Küchentür war sie gerannt. Damals in der Nacht, als sie aufgestanden war, um in der Küche ein Glas Wasser zu trinken. Hatte kein Licht gemacht, und im Dunkeln hatte sie nicht bemerkt, dass die Tür offen gestanden war. Ein bisschen nachtblind eben, da gewöhnen sich die Augen nicht so schnell an die Dunkelheit. Da erkennt man die eigene Hand nicht vor den Augen. Und so war es dann passiert. Einfach mit dem Kopf gegen die Türkante. Mit voller Wucht. Hatte fürchterlich weh getan, sogar ein wenig schlecht war ihr geworden, aber nur ganz kurz. Deshalb hatte sie sich gleich wieder ins Bett gelegt, mit einem nassen Handtuch auf der Stirn. Erst am Morgen hatte sie das Blut bemerkt. Auf dem Handtuch und auf ihrem Kopf. Und dann auf der Tür. Hier, der kleine dunkle Fleck an der Kante, da hatte sich das Blut ins Holz eingesaugt. Hier, genau hier.
Maria Wagner öffnete die Küchentür, biss die Zähne zusammen und schlug ihren Kopf gegen die Kante. Ein stechender Schmerz. Sie schrie auf, sank zusammen, kniete vornüber gebeugt auf dem Küchenboden
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