Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
schwer sein, sich etwas einfallen zu lassen. Wenn er bloß nicht so ein Stubenhocker wäre. Aberdie Zeiten, in denen er abends noch ausgegangen oder irgendwelche Popkonzerte besucht hatte, waren lang vorbei. Heute wusste er nicht einmal mehr, was in der Stadt los war, abgesehen von der Lokalmeile, wo sich an den Wochenenden die Halbwüchsigen betranken und dann regelmäßig zu randalieren begannen, so dass die Kollegen vom Spezialeinsatzkommando ausrücken mussten. Einsiedlerkrebs, so hatte Christina früher immer zu ihm gesagt, du bist ein richtiger Einsiedlerkrebs. Vielleicht war das auch ein Grund, warum sie sich von ihm getrennt hatte, und nicht nur, weil er keine Kinder wollte. Einsiedlerkrebs. Doch jetzt hatte er endlich eine Idee.
„Wie wär’s mit Kino, Chris? An deinem freien Abend, ja? Komm, ich lad’ dich ein!“
Christina sah ihn erstaunt an.
„Kino? Seit wann interessiert dich Kino, Klaus? Das ist ja ganz was Neues!“
„Ach weißt du … ich meine ja nur …“
Christina lächelte und legte den Kopf schief.
„Du bist süß, Klaus.“
„Ja? Wirklich?“
„Ja, Klaus. Und irgendwann gehen wir auch ins Kino. Versprochen.“
Christina stand auf, zog ihren Pullover an und griff nach ihrer Handtasche.
„Ich muss jetzt. Danke für den Kaffee.“
Wagner begleitete sie zur Tür.
„Schade, dass du schon gehen musst.“
„Tja.“
„Also dann.“
„Ja, also dann.“
Wagner blieb in der offenen Tür stehen und blickte Christina nach. Sie ging zum Lift und drückte den Knopf. Dann drehte sie sich plötzlich um und kam zurück. Sie führte ihre Hand zumMund, küsste die Spitzen von Mittel- und Zeigefinger und drückte sie dann ganz sanft auf Wagners Lippen.
„Danke, Klaus.“
„Danke wofür?“
„Fürs Zuhören. Und für das, was du mir versprochen hast.“
„Versprochen?“
„Die Mädchen, Klaus. Die Mädchen.“
Und dann war der Lift da.
Und auch der Lärm ging wieder los, das Bohren und Hämmern. Wie aufs Stichwort, dachte Wagner. Wie im Film: Die Geliebte verschwindet und das Chaos bricht aus. Er wusste schon, warum er Kino nicht mochte. Es konnte nichts bieten, was das Leben nicht auch zu bieten hatte.
Wann war er eigentlich das letzte Mal im Kino gewesen? Daran konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Die meisten Filme kamen ohnehin im Fernsehen, und selbst da zappte er meistens mittendrin auf ein anderes Programm. Als Kind, ja, da hatte er seine Mutter jede Woche um Geld angebettelt, damit er ins Nonstopkino gehen konnte. Nicht wegen der Wochenschauen und der Kulturfilme, sondern wegen „Tom & Jerry“ und „Stan & Ollie“. Von denen hatte er nicht genug kriegen können. Später dann „Spartacus“, „Ben Hur“, „El Cid“, die ganzen Monumentalschinken, in die war ja jeder gegangen. Sogar „Doktor Schiwago“, doch da war nach seinem Geschmack eindeutig zu viel Herz-Schmerz drin. Und natürlich die Aufklärungsfilme von Oswald Kolle, aber die zählten nicht, weil die waren eigentlich kein richtiges Kino. Ja, und ein wirklicher Kinoheld war für ihn überhaupt nur ein einziger: Lino Ventura. Das war ein Typ, der ihm imponiert hatte. Bullig, wortkarg, unbeirrbar und immer souverän. Lino Ventura als Kommissar, da hatte die Unterwelt nichts zu lachen. Wirklich ganz große Klasse, der Mann. Einen wie ihn hat es danach nicht mehr gegeben.
Vater war nie ins Kino gegangen. Tote habe ich im Krieg genuggesehen, hatte er immer gesagt, und das war übrigens auch schon alles gewesen, was er über seine Zeit als Soldat erzählt hatte. Du willst
Äktschn
, Klaus? Bitteschön, da ist die Heckenschere, mit der hast du wohl
Äktschn
genug! Auch das hatte er gesagt. Und Aufregung, hatte er erklärt, Aufregung und Spannung erlebe ich tagtäglich bei meinen Polizeieinsätzen. Als Jugendlicher hatte er sich deshalb immer gedacht, sein Vater würde Schwerverbrecher jagen und knifflige Mordfälle aufklären. Erst später hatte er erfahren, dass Vater in Wahrheit nur im Polizeikommando hinter dem Schreibtisch gesessen war und Spesen für Dienstreisen und Transportbegleitungen aufgelistet und abgerechnet hatte. Warum er dann später selbst Polizist geworden war? Sicher nicht, weil er sich vorgestellt hatte, so zu werden wie sein Vater. Schon eher so wie Lino Ventura. Wie sich bald herausgestellt hatte, die einzige Vorstellung, die im Kino besser gewesen war als im wirklichen Leben. Er war ein kleiner, unbedeutender Polizist geworden, und wenn er in den Spiegel blickte, musste er
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