Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
ihm heute zeigte, ihn spüren und riechen ließ, dass er auf ihn gewartet hatte.
Heute der Garten. Irgendwann das Haus. Und, wer weiß, vielleicht auch einmal Christina. Die Dinge geschehen, oder sie geschehen nicht. Man muss sie auf sich zukommen lassen. Am Ende wird alles gut.
Wagner blickte hinüber zum Haus. Dort rührte sich nichts. Die Fensterläden des Schlafzimmers waren geschlossen. Wie immer, wenn Mutter während des Tages schlief. Solange sie schlief, ging es ihr gut. Das war beruhigend. Außerdem hatte er nach wie vor keine Lust, sie zu sehen. Für ihn war der Tag bis jetzt schon ereignisreich genug gewesen.
Er würde jetzt zu sich nachhause fahren und einen anständigen Kaffee trinken. Stark, schwarz und mit viel Zucker – und vor allem aus Christinas wunderbarer, neuer, roter Kaffeetasse. Und später würde er Christina die gute Nachricht von Mosers Tod überbringen. Ach ja, und in ein Sportgeschäft würde er auch noch gehen und ein kleines Zelt und einen Schlafsack kaufen. Darin würde er dann im Garten schlafen. In seinem Garten. Vielleicht schon heute Nacht.
W as war nur in ihn gefahren? Wieso hatte er plötzlich kehrt gemacht, hatte keinen Schlafsack und kein Zelt gekauft, war nicht in seine Wohnung gefahren, erzählte nicht gerade Christina die großartige Neuigkeit von Mosers Tod, sondern saß seit Stunden hier an seinem Schreibtisch in der Polizeiinspektion? Welcher Teufel hatte ihn geritten, dass er auf einmal nicht anders konnte, als im Archivschrank nach der alten Akte Karl Moser zu suchen? Wozu sollte das gut sein, was glaubte er zu finden in den Vernehmungsprotokollen und Untersuchungsberichten von damals? Welchen Sinn hatte es, all das wieder und wieder zu lesen, was er vor fünfzehn Jahren selber geschrieben hatte? Welche Informationen, welche Erkenntnisse sollte er ihm liefern, dieser Packen Kanzleipapier, der schon leicht vergilbt war und nach Staub roch? Nichts, was er nicht ohnehin schon wusste.
Dass Karl Moser ein armes Schwein war, dem das Leben übel mitgespielt hat. Dass seine Frau und seine kleine Tochter vor vielen Jahren auf einem Fußgängerübergang von einem betrunkenen Autofahrer über den Haufen gefahren wurden und noch an der Unfallstelle starben. Dass Moser sich von diesem Schock nie mehr erholt hat und seither völlig zurückgezogen in seinem Haus lebte. Dass er seinen Lebensunterhalt als Tierpräparator bestritt und im Auftrag von Naturkundemuseen, wissenschaftlichen Sammlungen und Privatpersonen tote Tiere ausstopfte, Schaustücke und Jagdtrophäen. Dass diese Tätigkeit von vielen Menschen als etwas Abstoßendes, ja Unheimliches empfunden wurde, und die Leute bald irgendwelche Schauermärchen über Moser verbreiteten, er würde Katzen und Hunde in der Umgebung einfangenund ihnen dann die Köpfe abschneiden und ähnlichen Unsinn. Und dass Eltern irgendwann sogar ihren Kindern im Spaß damit drohten, wenn sie nicht brav wären, würde man sie zum „Doktor Frankenstein“ bringen, wie sie Moser inzwischen nannten, weil der würde auch kleine Kinder umbringen und ausstopfen.
Das alles wusste Wagner. Und er hatte seinerzeit auch herausbekommen, dass es nichts als diese dummen, verantwortungslosen, haarsträubenden Horrorgeschichten gewesen waren, welche die zwei kleinen Mädchen darauf gebracht hatten, zu behaupten, Moser habe sie in sein Haus gelockt und dort schlimme Sachen mit ihnen angestellt und dann gesagt, dass sie niemandem etwas davon erzählen dürften, sonst würde er sie in der Nacht holen und ihnen die Köpfe abschneiden. Aber bei der Gegenüberstellung hatten die Kinder Moser nicht einmal erkannt. Und als sie schließlich zugegeben hatten, dass sie sich alles nur ausgedacht hatten, um sich wichtig zu machen und vor ihren Schulfreundinnen damit anzugeben, war es schon zu spät gewesen. Denn Moser war von der Presse bereits als Kinderschänder und gefährlicher Triebtäter abgestempelt worden. Und so ein Stigma bleibt an einem haften, auch wenn man sich als unschuldig herausstellt. Moser war danach endgültig zum psychischen Wrack geworden, hatte seinen Beruf aufgegeben und seither von einer kleinen Rente gelebt. Und mit der Zeit, so schien es, war dann doch gnädig Gras über die Sache gewachsen und „Doktor Frankenstein vom Gartenweg“ war in Vergessenheit geraten.
Also, was sollte es Wagner bringen, dass er jetzt die Bilder anstarrte, die der Erkennungsdienst von Karl Moser gemacht hatte? Wonach suchte er im Gesicht dieses schmächtigen, blassen
Weitere Kostenlose Bücher