Hexenspiel. Psychokrimi: Ein Psychokrimi (German Edition)
waren die Ameisen. Der halbe Ameisenstaat war unter das Tier gekrabbelt und bewegte es Millimeter um Millimeter wieder auf das Gestrüpp zu. Ein gespenstischer Leichenzug, der den Eindruck erweckte, als wollte der Kadaver in Zeitlupe zu der Stelle zurückkriechen, von der Wagner ihn weggeholt hatte.
Wagner überlegte, ob er das Tier einfach in die Mülltonne vorm Gartentor werfen sollte. Doch das würde vermutlich eine Ameisenstraße hervorrufen, die von der Tonne quer durch den Garten liefe. Und auch der Aasgestank würde weiter in der Luft hängen. Am vernünftigsten wäre es natürlich, das Tier einzugraben. Aber das schien Wagner ebenfalls nicht die richtige Lösung zu sein. Er wollte, dass alles hundertprozentig verschwinden sollte, das tote Eichkätzchen ebenso wie die Ameisen. Verbrennen, dachte Wagner. Verbrennen, und was dann noch übrig bleiben sollte, das könnte er immer noch in der Erde vergraben.
Er ging hinaus zu seinem Auto und holte den Benzinkanister, den er immer mitführte, und das Feuerzeug, das neben einer Taschenlampe, einer Packung Kaugummi und einer Schachtel Zigaretten, die er dort irgendwann vergessen hatte, im Handschuhfach lag.
Er übergoss das Tier mit Benzin und zog zusätzlich rundherum eine breite Benzinspur in die Wiese, so dass die Ameisen keine Chance hatten zu entkommen. Dann schraubte er den Kanister wieder zu, stellte ihn in sicherer Entfernung ab, hielt die Flamme des Feuerzeugs an ein zusammengerolltes Papiertaschentuch und warf die Lunte auf den benzingetränkten Kadaver. Mit einemtrockenen
Flapp!
schossen die Flammen empor, rot und gelb und dann blau, der tote Körper krümmte sich im Feuer, ein paar Ameisen gelang die Flucht aus dem Inferno, und wenige Minuten später war alles vorbei. Mitten in dem niedergebrannten, runden schwarzen Fleck in der Wiese lag ein glosendes Häufchen. Ein dunkel gefärbtes, kleines Skelett, an dem noch ein bisschen verbranntes Fell haftete.
Wagner nahm den Spaten und schlug ihn ein paar Mal flach auf das Skelett, bis es in kleine Stücke zerbarst. Dann stieß er den Spaten in den Brandfleck und begann, das Erdreich umzustechen wie in einem Gemüsebeet. Er ackerte die verkohlten Tierreste sorgfältig in die Erde ein, ganz tief, bis an der Oberfläche nur mehr satter, feuchtbrauner Humus zu sehen war, den er mit ein paar Rasenziegeln bedeckte. In ein paar Tagen würde es hier aussehen, als wäre nie etwas geschehen. Und der Verwesungsgeruch war jetzt schon verschwunden.
Wagner war froh, dass er das alles so schnell geschafft hatte. Er wusste, wenn er nicht sofort gehandelt hätte, wäre sein Ekel vor dem toten Tier ins Unermessliche gewachsen, und dann hätte er möglicherweise tagelang nichts unternommen, um den Kadaver zu entfernen, und vielleicht hätte er den Garten sogar überhaupt gemieden. Er kannte sich: In solchen Situationen war sein Bauch stärker als sein Verstand. Außerdem wäre es gar nicht gut gewesen, wenn Christina das tote Eichkätzchen gesehen hätte. Tod und Verwesung in seinem Garten – wer weiß, welche Ängste im Zusammenhang mit den vermissten Mädchen das wieder in ihr geweckt hätte! Doch jetzt würde sie mit Sicherheit nichts Ungewöhnliches bemerken.
Christina hatte heute Morgen versprochen, nach ihrem Mittagsdienst im Lindenwirt in den Garten zu kommen. Muss mich ja schön langsam mit unserer Sommerresidenz anfreunden, hatte sie gesagt und dabei gelächelt. Jetzt war es zwei vorbei, und Christina würde sicher demnächst auftauchen.
Wagner trat die Rasenziegel fest, verwischte mit den Schuhspitzen die Ränder, wusch sich am Gartenschlauch die Hände, und dann brachte er den Benzinkanister zurück zum Auto und verstaute ihn im Kofferraum. Gerade rechtzeitig, denn als er den Deckel zuschlug, bog Christina schon um die Ecke, und ein paar Sekunden später lehnte sie ihr Fahrrad an den Gartenzaun.
„Servus, Chris!“
„Hallo, Klaus!“ Christina drückte Wagner einen Kuss auf die Wange. Dann nahm sie einen Korb vom Gepäckträger. „Ich hab uns was mitgebracht. Kleines Picknick im Grünen. Hoffentlich hast du Hunger.“
Hatte er nicht. Im Gegenteil, die Tortenorgie der vergangenen Nacht machte seinem Magen nach wie vor zu schaffen. Außerdem hatte er kaum Schlaf gefunden und seine Schultern schmerzten. In so einem Zustand litt er immer unter Appetitlosigkeit, und die Sache mit dem toten Eichkätzchen hatte seine Esslust auch nicht gerade gefördert. Aber andererseits freute er sich natürlich darüber, dass
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