Hexenstein
breiten Backenzähnen. Schielin bekam Hunger.
»Und wieso das alles, fragst du?« Er zog die Leine an und ging weiter. »Weil es nicht langt nur zu wissen, zu wem eine Schuld gehört. Mich interessiert aber nicht die Schuld allein. Ich will wissen, was an jenem Montag in diesem schrecklich romantischen Haus vorgefallen ist. Alles – will ich jetzt wissen.« Ronsard trabte kauend weiter. Schielin verjagte beim Queren einer Streuobstwiese einige Bremsen.
*
Von zu Hause rief er auf der Dienststelle an und bat, dass alle noch dableiben mögen, bis er zurückkommen würde – er hätte etwas mitzuteilen.
Jasmin Gangbacher kam kurz darauf von ihrem Streifzug zurück und schlich sich lautlos an Kimmels Büro vorbei. Im Geschäftszimmer lag Hund. Er schlug ein paar Mal mit dem Schwanz auf den Holzboden, als sie im Türrahmen auftauchte. Sie ging nach hinten und fand Schielins Büro verlassen. Auch Lydia war nirgends zu sehen. Vielleicht war sie wieder im Keller und besprühte oder bepinselte eines der sichergestellten Dinge.
Kimmel trommelte alle zusammen, nachdem Schielin eingetroffen war. Dabei traf er im Gang auf Jasmin Gangbacher, die er im Vorübergehen mit boshaftem Unterton fragte, ob ihr die Hufeisen gepasst hätten.
Schielin eröffnete den anderen, welcher Name ihm auf dem Formular aufgefallen war und welchen Zusammenhang er daraus konstruierte. Ungläubiges Schweigen. Selbst Gommi fand keine Worte. Alles, was Schielin sagte, klang logisch, so verrückt es auch anmutete. Gemeinsam legten sie das Vorgehen fest. Schielin telefonierte lange mit den Kollegen in Norddeutschland und spät am Abend nochmals mit dem ehemaligen Heimleiter Wilhelm Kurz. Wenzel hockte im Keller, um ganz konkreten Spuren nachzugehen und Jasmin Gangbacher war im Lindaupark unterwegs.
So ging der Tag dahin. Früh brannten die Kerzen auf den Tischen der Cafés im Hafen, ohne von einem Hauch gestört zu werden. Bei der Essensauswahl waren leichte Salate und Fischgerichte die überwiegende Wahl und das Lachen, das öfter als in den Vortagen zu hören war, zeigte, dass das Arrangement mit der Hitze inzwischen funktionierte.
Glückskind
Der Mittwochmorgen zeigte endlich einen deutlich dunkleren Himmel. Die Einheimischen sahen auf dem Weg zur Seebrücke zu den Fahnenmasten hoch. Noch regte sich nichts. Wenn schon kein Windzug zu spüren war, vielleicht lag er aber schon in der Luft. Im Laufe des Morgens zeigte sich am Horizont im Westen ein erster grüner Schimmer, der Hoffnung verhieß.
Beat Brüggi hatte das Hotel Seegarten verlassen, ohne in dem Maße zu frühstücken, wie er es gewohnt und wie es möglich gewesen wäre. Er hatte schlecht geschlafen. Träume hatten ihn verfolgt. Wie Geister, waren mit einem Male Menschen in sein Dasein getreten, an die er schon Jahre nicht mehr gedacht hatte. Je näher der Morgen rückte, desto abstruser wurden die albhaften Heimsuchungen und so war er mit der ersten Dämmerung aufgestanden, hatte lange geduscht und befand sich nun auf der hinteren Insel, studierte die Zeichnung des Himmels und suchte mit dem weiten Blick hinüber in die Schweizer Heimat einen ebenso weitreichenden Abstand zu den verstörenden Fantasien zu bekommen, die ihn in der Nacht aufgesucht hatten.
Conrad Schielin hatte den Tag ebenfalls mit der Morgendämmerung begonnen. Er war zur Weide gegangen und hatte die Tiere versorgt. Er kontrollierte den Wassertrog, kippte zwei Eimer spezieller Hafermischung in die Erdkuhle und striegelte die Friesen so ausgiebig wie Ronsard. Es war gut, sich an den kräftigen Körpern anlehnen zu können. Nach der Dusche, einem Glas Wasser, einer Tasse Kaffee und einer halben Seele, ließ er das Rad hinunterlaufen und kam, ohne einmal treten zu müssen, bis weit in die Reutiner Straße.
Laurenz Brender hockte blass im ersten Stock und sah hinaus auf den See. Er lauschte hinüber zum Zimmer, dessen Türe nur halb geschlossen war, horchte, ob ein Atmen zu hören war. Obwohl er seinem Körper noch nichts zugemutet hatte, obwohl er sich an diesem Tag, wie in seinem bisherigen Leben auch, noch nichts zugemutet hatte, lag seine Haut eingebettet in ein feines Netz aus Schweiß. Er saß bewegungslos da und suchte an einem fernen Horizont immer noch nach der Erklärung, was es da draußen gab, was es wert war, fast ein Leben lang da hinauszustarren und Freude dabei zu empfinden. Er fand es nicht.
Nora Seipp hatte aus den schwarzen Kleidern, die ihr Schrank anbot, die schwärzeste Variante ausgesucht. Sie
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