Hexenstein
Plastiksack stammt aus ihrem Haushalt, sie haben die Kohle geklaut und damit fett eingekauft. Da spielt selbst die Frage nach der Tatwaffe keine große Rolle mehr … ist sie halt weg … aber die zwei sind doch reif, oder etwa nicht!? Und zwar überreif!«
Jetzt geriet auch Lydia Naber ins Zweifeln. »Na ja, das stimmt schon. Die haben wirklich schlechte Karten und werden wohl sitzen. Die Frage lautet nur weswegen? Ich habe gerade noch mal den Obduktionsbericht dieser ganz entzückenden Person von BMW-Cabriofahrerin durchgelesen. Diese Stiche sind von oben und sehr heftig ausgeführt worden. Der rechte Schulterknochen ist tief gerissen durch einen der Stiche. Das deutet schon eher auf eine sehr emotionale, fast hasserfüllte Tat hin. Und ehrlich gesagt, dem Haubacher selbst traue ich das nicht zu, dann schon eher seinem Schlämpchen. Dieser feiste Typ, ist eher so ein Straßenschläger … aber dieser Mord …«
»Ex-Schlämpchen«, warf Wenzel ein.
»Was machen wir nun also?«, fragte Funk.
»Auf den Anruf warten, die Berichte in Sachen Haubacher für die Akte fertig machen und uns mal ansehen, was unsere Okkultismusexpertin sonst noch rausgefunden hat. Ich habe so am Rande was mitbekommen von einem Hexenstammtisch in Kempten. Was meinst du, Conrad?«
Schielin schnaufte laut, bevor er sprach. »Ich meine, alles hat mit allem zu tun und wir werden das schon so zusammenfügen, dass eine Wahrheit dabei rauskommt, mit der wir leben können.«
Robert Funk stöhnte und verließ das Büro. Wenzel folgte ihm.
Lydia Naber sah zum Fenster hinaus. »Unser Kümmelchen flippt aus, wenn es wirklich in diese Hexen-Richtung geht, du weißt, dass er eher die klassischen Sachen mag – und an der hier wäre dann überhaupt nichts klassisch.«
Keine Stunde später stand Schielin vor Kimmel, der hinter seinem Schreibtisch wie angewachsen saß, und unterrichtete ihn darüber, dass Carmen Kohn, geborene Lasalle, nicht Carmen Kohn, geborene Lasalle war, sondern mit ziemlicher Sicherheit Helen Sander hieß. Kimmel nahm die Nachricht und alle weiteren Ausführungen entgegen, so als hätte Schielin gesagt, es sei heute Dienstag und morgen würde Mittwoch sein. Aber das war vielleicht auch nicht mehr selbstverständlich.
*
Lydia Naber half Wenzel drunten im kühlen Kellerlabor bei der Auswertung der Spuren. Einige Plastiktütchen lagen noch unbearbeitet herum.
Conrad Schielin war oben in seinem Büro damit beschäftigt, die Unterlagen zu sortieren und auf verschiedene Packen zu verteilen – Kriminalakten, Staatsanwaltschaft, Handakte. Er verrichtete die Arbeit mechanisch, beinahe ohne darauf zu achten, was er tat. Nach den unübersichtlichen Formularen, auf welchen das Geschehen mit Schlagworten grob beschrieben und mittels Zahlen für die Statistik klassifiziert war, folgten die Blätter mit den Personalien aller Betroffenen und Beteiligten. Dazu die Protokolle der Vernehmungen und die Aktenvermerke, die gefertigt worden waren. Zum Obduktionsbericht würden die Spurengutachten des LKA und Wenzels Auswertungen kommen.
Es war ein Blatt Papier, eines jener unbedeutenden Blätter mit Personalien, an denen Conrad Schielins Blick hängen blieb. Es geschah, ohne dass er wusste weshalb. Fast war es so, als stünde in großen Buchstaben ein geheimnisvoller Code auf dem schüchternen Blatt von schlechter Qualität. Beat Brüggi hätte sicher zwei Stunden darüber referieren können, dass dieses Verbrechen den Generationen in zwei-, dreihundert Jahren alleine wegen der minderen Papierqualität nicht mehr nachvollziehbar sein würde.
Conrad Schielin spürte sein Herz schneller schlagen und blieb doch ganz ruhig sitzen. Alle Kraft brauchte er nun zum Nachdenken. Lydia Naber, die gerade in diesem Moment hereinkam, bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Sie blieb im Raum stehen und sah ihn an, wie er regungslos auf das Blatt Papier blickte. Sorgenvoll fragte sie, ob alles in Ordnung sei.
Mit Conrad Schielin war alles in Ordnung. Es war nur so, dass sich vor seinem inneren Augen eine Geschichte zusammenfügte, eine komplizierte Geschichte. Er reichte Lydia Naber das Blatt Papier. »Wer hat das aufgenommen?«
Sie ließ einen flüchtigen Blick darübergehen und gab es irritiert zurück. »Na, Robert. Du erinnerst dich, Robert Funk … unser Kollege …«
Conrad Schielin schloss die Augen und sie dachte es sei wegen ihres Spottes.
Er hingegen war beruhigt durch ihre Worte. Es hatte ihn zuerst erschrocken, dass es ihm wirklich hätte passieren
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