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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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bestätigen oder dementieren, was auf dem Flug in die Stadt passiert war. Nur, daß sie ihn hastig zum Ufer geschafft hatten, wo Krankenwagen und Reporter warteten.
    Fotoapparate blitzten – daran erinnerte er sich, und Leute nannten seinen Namen. Ein Rettungswagen war da, und jemand, der versuchte, ihm eine Nadel in die Vene zu stechen. Er glaubte die Stimme seiner Tante Vivian zu hören. Er flehte die Leute an, aufzuhören. Er mußte sich aufsetzen. Sie durften ihn nicht festschnallen, nein!
    »Ganz ruhig, Mr. Curry, immer mit der Ruhe. Hey, helft mir doch mal hier mit dem Burschen!« Und sie schnallten ihn fest. Sie behandelten ihn wie einen Gefangenen. Er wehrte sich. Aber es nutzte nichts; sie hatten ihm etwas in den Arm gespritzt, das wußte er. Er sah die Dunkelheit nahen.
    Dann kamen sie zurück, die er dort draußen gesehen hatte; sie fingen wieder an zu sprechen. »Ich verstehe«, sagte er. »Ich werde es nicht geschehen lassen. Ich werde nach Hause fahren. Ich weiß, wo es ist. Ich erinnere mich…«
    Als er erwachte, blinzelte er in grelles künstliches Licht. Ein Krankenhauszimmer. Er hing an Apparaten. Sein bester Freund, Jimmy Barnes, saß neben dem Bett. Er wollte mit Jimmy sprechen, aber da umringten ihn schon Ärzte und Schwestern.
    Sie berührten ihn, seine Hände, seine Füße, stellten ihm Fragen. Aber er konnte sich nicht auf die richtigen Antworten konzentrieren. Dauernd sah er irgendwelche Dinge – flüchtige Bilder von Schwestern, Pflegern, Krankenhauskorridoren. Was ist das alles? Er wußte, wie der Arzt hieß – Randy Morris – und daß er seine Frau – Deenie – geküßt hatte, bevor er daheim weggefahren war. Na und? Diese Dinge platzten ihm buchstäblich in den Schädel. Er lebte ständig in einem fieberhaften Zustand zwischen Wachen und Träumen.
    Ihn schauderte, und er versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. »Hört mal«, sagte er, »ich versuch’s.« Schließlich wußte er ja, was das alles sollte, dieses Berühren: Er war ertrunken, und sie wollten wissen, ob ein Hirnschaden zurückgeblieben war. »Aber ihr braucht euch keine Mühe zu machen. Mir geht’s prima. Mir geht’s gut. Ich muß hier raus und packen. Ich muß sofort nach Hause…«
    Den Flug reservieren, die Firma schließen… Die Tür, die Verheißung, und seine Aufgabe, die absolut entscheidend war…
    Aber worin bestand sie? Warum mußte er wieder nach Hause? Wieder blitzten Bilder auf – Schwestern, die dieses Zimmer putzten, jemand, der die Chromstange an seinem Bett polierte, ein paar Stunden zuvor, als er geschlafen hatte. Hör auf damit! Du mußt zum entscheidenden Punkt zurück kehren, zum Sinn und Zweck des Ganzen, zum…
    Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er konnte sich an seine Aufgabe nicht mehr erinnern. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er gesehen hatte, als er tot gewesen war! Die ganze Geschichte, alles – die Menschen, die Orte, alles, was man ihm gesagt hatte -, alles hatte er vergessen. Nein, das konnte nicht sein. Es war so wunderbar klar gewesen. Und sie verließen sich auf ihn. Sie hatten gesagt: Michael, du weißt, du brauchst nicht zurückzugehen, du kannst ablehnen. Und er hatte gesagt, er würde es tun, er würde… ja, was?
    Er hatte sich aufgesetzt, sich eine der Kanülen vom Arm gestreift und um Bleistift und Papier gebeten.
    »Sie müssen still liegen.«
    »Jetzt nicht. Ich muß es aufschreiben.« Aber es gab nichts aufzuschreiben!
    Alles fort.
    Er hatte die Augen geschlossen und versucht, die seltsame Wärme in seinen Händen und die Schwester, die ihn auf die Kissen zurückdrückte, zu ignorieren. Jemand bat Jimmy, das Zimmer zu verlassen. Jimmy wollte nicht gehen. Wieso sah er all diese seltsamen, bedeutungslosen Dinge – die Schatten der Pfleger, die Männer der Krankenschwestern und diese Namen, warum kannte er all diese Namen? »Fassen Sie mich nicht so an«, sagte er. Es war das Erlebnis dort draußen, hoch über dem Meer – darauf kam es an!
    Plötzlich griff er nach dem Stift. »Wenn Sie ganz leise sein wollten…«
    Und wieder ein Bild. Ein Bild, wenn er den Stift berührte, das Bild der Krankenschwester, die ihn im Stationszimmer am Korridor aus der Schublade nahm. Und das Papier – das Bild eines Mannes, der den Block in einen Metallspind legte. Und der Nachttisch? Das Bild der Frauen, die ihn zuletzt abgewischt hatten, mit einem Lappen voller Bazillen aus einem anderen Zimmer.
    Und das Bett? Die letzte Patientin, die darin gelegen hatte – Mrs. Ona

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