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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Patrick – war gestern vormittag um elf gestorben, bevor er auch nur daran gedacht hatte, nach Ocean Beach zu fahren. Nein! Abschalten! Eine Momentaufnahme ihres Leichnams in der Leichenkammer des Krankenhauses. »Das halte ich nicht aus!«
    Voller Verzweiflung legte er die Hände an den eigenen Kopf, fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, und barmherzigerweise fühlte er gar nichts. Wieder dämmerte er ein und dachte dabei, na ja, es wird mir schon wieder einfallen, genau wie sonst, und sie wird da sein, und ich werde alles verstehen. Aber noch während er einschlief, begriff er, daß er nicht wußte, wer sie war.
    Aber er mußte nach Hause, jawohl, nach Hause nach all den Jahren, diesen langen Jahren, in denen »Zuhause« eine Art Phantasievorstellung geworden war…
    »Dahin zurück, wo ich geboren bin«, flüsterte er. So schwer jetzt, das Sprechen. So schläfrig. »Wenn ihr mir noch irgendwelche Medikamente gebt, dann bringe ich euch um, das schwöre ich.«
     
    Es war sein Freund Jimmy, der ihm am nächsten Tag die Lederhandschuhe brachte. Michael hatte nicht geglaubt, daß es funktionieren würde. Aber einen Versuch war es wert. Er war in einem Zustand der Erregung, der an Raserei grenzte. Und er hatte zuviel geredet, mit allen.
    Als Reporter direkt in seinem Zimmer anriefen, erzählte er ihnen mit großer Hast, »was passiert ist«. Als sie sich Zugang zu seinem Bett verschafften, redete und redete er, berichtete wieder und wieder und rief: »Ich kann mich nicht erinnern!« Sie ließen ihn Gegenstände berühren; er sagte ihnen, was er sah. »Es bedeutet nichts.«
    Die Kameras gingen los, mit zahllosen kleinen, surrenden elektronischen Geräuschen. Das Krankenhauspersonal warf die Reporter hinaus. Michael wagte nicht mehr, auch nur eine Gabel oder ein Messer zu berühren. Er wollte nicht essen. Mitarbeiter aus der gesamten Klinik kamen herüber und legten ihm Gegenstände in die Hand.
    Ein paar kurze Bilder waren aufgetaucht, als er sich die engen Lederhandschuhe das erstemal über die Finger gestreift hatte. Dann hatte er die Hände langsam aneinandergerieben, so daß alles verschwamm, Bild sich auf Bild legte, bis nichts mehr klar war und all die vielen Namen, die ihm durch den Kopf purzelten, nur noch ein Geräusch waren – und dann Stille.
    Langsam streckte er die Hand nach dem Messer auf dem Abendbrottablett aus. Er sah etwas, aber es war verschwommen. Schließlich verschwand es ganz. Er hob das Glas, trank die Milch. Nur ein Schimmer. Alles in Ordnung! Die Handschuhe funktionierten.
    Und er mußte von hier verschwinden! Aber sie wollten ihn nicht gehen lassen. »Ich will keine Hirntomographie«, sagte er. »Mein Hirn ist in Ordnung. Meine Hände machen mich verrückt.«
    Aber sie wollten ihm ja nur helfen – der Chefarzt Dr. Morris und seine Freunde, und seine Tante Vivian, die stundenlang an seiner Seite blieb. Auf sein Ersuchen hin hatte Dr. Morris Kontakt mit den Rettungssanitätern aufgenommen, mit der Küstenwache, mit dem Personal in der Notaufnahme, mit der Skipperin des Bootes, die ihn wiederbelebt hatte, ehe die Küstenwache zu ihr hatte finden können – mit jedem, der sich vielleicht daran erinnerte, daß er etwas Wichtiges gesagt hatte. Schließlich konnte ja schon ein einziges Wort der Schlüssel zu seinem Gedächtnis sein.
    Aber es gab kein solches Wort. Michael habe etwas gemurmelt, als er die Augen aufgeschlagen habe, hatte die Skipperin berichtet, aber ein spezielles Wort habe sie nicht verstehen können. Mit L habe es wohl angefangen, glaubte sie – ein Name vielleicht. Aber das war alles. Danach hatte ihn die Küstenwache übernommen. Im Rettungswagen hatte er angefangen, um sich zu schlagen. Man hatte ihn ruhigstellen müssen.
    Dennoch wollte er jetzt mit all diesen Leuten sprechen, vor allem mit der Frau, die ihn wiederbelebt hatte. Das sagte er der Presse, als die Reporter kamen, um ihn zu interviewen.
    Jimmy und Stacy blieben jeden Abend lange bei ihm. Seine Tante Vivian war jeden Morgen da. Therese kam schließlich auch, schüchtern, verängstigt. Sie konnte Krankenhäuser nicht ausstehen. Sie ertrug die Gesellschaft kranker Menschen nicht.
    Er lachte. Typisch Kalifornien, dachte er. Was für eine Vorstellung, so etwas zu sagen. Und dann folgte er einem Impuls. Er riß sich den Handschuh herunter und packte ihre Hand.
    Angst, mag dich nicht, stehst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, hör auf mit all dem Zeug, ich glaube dir nicht, daß du da draußen ertrunken bist,

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