Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
bewachen, weil Marguerite es sonst auf den Armen spazierentrug und es dann irgendwo fallen ließ oder auf eine Treppe oder einen Tisch legte und dort vergaß. Julien lachte über ihre Vorsichtsmaßnahmen und sagte oft – auch vor Dienern -, das Baby habe einen Schutzengel besonderer Art, der schon achtgeben werde.
    Mary Beth, Julien und Belle lebten glücklich zusammen in der First Street, und obgleich Mary Beth leidenschaftlich gern tanzte und ins Theater und auf Partys ging, zeigte sie kein unmittelbares Interesse daran, einen »neuen« Mann zu finden.
    Schließlich heiratete sie dennoch, wie wir sehen werden, und zwar einen Mann namens Daniel McIntyre, und brachte noch drei Kinder zur Welt: Carlotta, Lionel und Stella.
    In der Nacht vor Marguerites Tod im Jahr 1891 wachte Mary Beth in ihrem Schlafzimmer in der First Street schreiend auf. Sie bestand darauf, daß sie unverzüglich nach Riverbend fahren müsse, weil ihre Großmutter im Sterben liege. Warum niemand nach ihr geschickt habe? Die Diener fanden Julien regungslos in der Bibliothek; er saß da und schien zu weinen. Anscheinend hörte und sah er nicht, wie Mary Beth ihn anflehte, sie nach Riverbend zu bringen.
    Ein junges irisches Hausmädchen hörte dann, wie die alte Haushälterin, eine Mulattin, sagte, es sei vielleicht gar nicht Julien, was da am Schreibtisch sitze, und daß man ihn lieber suchen gehen solle. Dies versetzte das Hausmädchen in Schrecken, zumal die Haushälterin sogleich begann, um das Haus herumzugehen und »Michie Julien!« zu rufen, währenddessen dieses reglos weinende Individuum dort am Schreibtisch saß und vor sich hin starrte, als höre es nichts.
    Endlich machte Mary Beth sich zu Fuß auf den Weg, und erst da sprang Julien vom Schreibtisch auf, fuhr sich mit den Fingern durch das weiße Haar und befahl den Dienstboten, den Brougham anzuspannen. Er holte Mary Beth ein, bevor sie die Magazine Street erreichte.
    Man muß anmerken, daß Julien zu jener Zeit dreiundsechzig Jahre alt war; er wird als sehr gutaussehender Mann beschrieben, mit dem schwungvollen Auftreten und der Haltung eines Theaterschauspielers. Mary Beth war neunzehn und über die Maßen schön. Belle war erst zwei Jahre alt, und von ihr ist in diesen Berichten keine Rede.
    Julien und Mary Beth trafen in Riverbend ein, als man gerade Boten ausschicken wollte, um sie zu holen. Marguerite war schon fast ohne Bewußtsein, der Schatten einer zweiundneunzigjährigen Frau, deren knochige Finger eine wunderliche kleine Puppe umkrallten, die sie zur großen Verwirrung des Arztes und der sie pflegenden Schwester maman nannte. Die Schwester erzählte nachher ganz New Orleans davon.
    Die Puppe, so wird berichtet, war ein grausiges Ding mit Gliedern aus echten Menschenknochen, die mit schwarzem Draht verbunden waren, und einer Mähne aus gräßlichen weißen Haaren, die an einen Lumpenkopf mit rohen Gesichtszügen geklebt waren.
    Katherine, damals einundsechzig, und ihre beiden Söhne saßen am Bett, wie sie es schon seit Stunden taten. Rémy war ebenfalls da; er war schon einen Monat auf der Pflanzung gewesen, als seine Mutter erkrankt war.
    Der Priester, Pater Martin, hatte Marguerite eben die Sterbesakramente gespendet, und auf dem Altar brannten noch die geweihten Kerzen.
    Als Marguerite den letzten Atemzug tat, beobachtete der Priester neugierig, wie Katherine aufstand und zu der Juwelenschatulle auf der Kommode ging, die sie immer mit ihrer Mutter geteilt hatte; dort nahm sie die Smaragdkette heraus und gab sie Mary Beth. Mary Beth nahm sie dankbar in Empfang, legte sie an und weinte weiter.
    Dann bemerkte der Priester, daß es zu regnen angefangen hatte, und ein ungeheuer kräftiger Wind pfiff ums Haus, ließ die Läden klappern und riß das Laub von den Bäumen. Julien war anscheinend entzückt darüber und lachte sogar.
    Katherine erschien müde und verängstigt. Und Mary Beth weinte und wollte sich nicht trösten lassen. Clay, ein stattlicher junger Mann, beobachtete die Vorgänge sichtlich fasziniert. Sein Bruder Vincent wirkte nur gleichgültig.
    Dann öffnete Julien die Fenster, um Wind und Regen hereinzulassen, was den Priester ein wenig ängstigte und ihm jedenfalls Unbehagen bereitete, denn es war Winter. Gleichwohl blieb er am Bett, wie er es für schicklich hielt, obschon der Regen tatsächlich auf das Bett fiel. Die Bäume krachten gegen das Haus. Der Priester befürchtete, einer der Äste könnte wirklich durch das nächstbeste Fenster zu ihm

Weitere Kostenlose Bücher