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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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– Geschichte, derzufolge Julien mit der schieren Kraft seines Willens jeden beliebigen Gegenstand habe in Brand setzen können; seine Mutter habe ihn deshalb stets geneckt.
    Bis zu dieser Zeit besuchte kein Mayfair eine reguläre Schule. Alle aber genossen eine vorzügliche Privaterziehung. Julien war keine Ausnahme; in seiner Jugend hatte er mehrere gute Hauslehrer gehabt. Einer von ihnen, ein hübscher Yankee aus Boston, wurde ertrunken in einem Bayou bei Riverbend aufgefunden; man erzählte sich, Julien habe ihn erwürgt und ins Wasser geworfen. Auch in diesem Fall wurde nie eine Untersuchung eingeleitet, und die Familie Mayfair reagierte empört auf den Klatsch. Diener, die die Geschichte verbreitet hatten, dementierten sie sogleich wieder.
    Dieser Bostoner Lehrer war zu seinen Lebzeiten eine großartige Informationsquelle gewesen. Er tratschte unaufhörlich über Marguerites seltsame Gewohnheiten und über die Angst der Sklaven vor ihr. Von ihm haben wir die Beschreibung ihrer Gläser und Flaschen mit den seltsamen Körperteilen und Gegenständen. Er behauptete, Annäherungsversuche von Marguerite abgewehrt zu haben. In der Tat tratschte er so bösartig und unvernünftig, daß mehr als eine Person die Familie vor ihm warnte.
    Ob Julien den Mann umgebracht hat, läßt sich schwer mit Bestimmtheit sagen, aber wenn er es getan hat, hatte er – unter Berücksichtigung der damals herrschenden Einstellung – wenigstens einen gewissen Grund dazu.
    Julien soll weiterhin alte Goldmünzen verschenkt haben, als wären es Kupferpennys. Die Kellner in den vornehmen Restaurants drängten sich danach, ihn zu bedienen. Er war ein legendärer Reiter und hatte in seinen Stallungen unweit der First Street mehrere eigene Reitpferde stehen sowie zwei Kutschen mitsamt Gespannen.
    Noch im hohen Alter ritt er vormittags oft auf einer kastanienbraunen Stute den ganzen Weg von der St. Charles Avenue nach Carrolton und wieder zurück, und den schwarzen Kindern warf er im Vorüberreiten Kleingeld zu.
    Nach seinem Tod wollten vier verschiedene Zeugen seinen Geist durch den Nebel auf der St. Charles Avenue reiten gesehen haben, und ihre Erzählungen wurden in den zeitgenössischen Blättern abgedruckt.
    Zahllose Male wurde auch behauptet, Julien habe die Gabe der »Bilokation« gehabt, das heißt, er habe gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein können. Diese Geschichte war unter den Dienstboten weit verbreitet. Danach sei es vorgekommen, daß man ihn beispielsweise in der Bibliothek gesehen habe, aber beinahe im selben Augenblick auch hinten im Garten. Oder ein Hausmädchen habe ihn zur Tür hinausgehen sehen, und als sie sich umdrehte, kam er die Treppe herunter.
    Mehr als ein Dienstbote kündigte lieber seine Stellung in der First Street, als sich mit dem »seltsamen Monsieur Julien« abzufinden.
    Man hat darüber spekuliert, ob nicht Lasher für diese seltsamen Vorkommnisse verantwortlich war. Wie sich die Sache auch verhalten haben mag, spätere Beschreibungen von Lashers Kleidung haben bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der, die Julien auf zwei verschiedenen Porträts trägt. Wo Lasher im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts Erwähnung findet, ist er unweigerlich gekleidet wie Julien in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
    Wir wissen, daß er seine Mutter Marguerite liebte, und auch wenn er nicht viel Zeit in ihrer Gesellschaft verbrachte, kaufte er ständig Bücher für sie in New Orleans oder bestellte sie in New York und auch in Europa. Nur einmal erregte ein Streit zwischen ihnen Aufmerksamkeit; dabei ging es um Katherines Heirat mit Darcy Monahahn, und Marguerite schlug Julien mehrmals und vor den Augen der Dienerschaft. Allen Berichten nach war er in seinen Gefühlen tief verletzt und zog sich einfach, in Tränen aufgelöst, aus der Gesellschaft seiner Mutter zurück.
    Nach dem Tod seiner Frau Suzette verbrachte Julien immer weniger Zeit in Riverbend. Seine Kinder wuchsen ausschließlich in der First Street auf. Julien, der schon immer eine elegante Gestalt gewesen war, übernahm eine noch aktivere Rolle in der besseren Gesellschaft von New Orleans. Aber schon lange vorher erschien er regelmäßig mit seiner kleinen Nichte (oder Tochter) Mary Beth in der Oper und im Theater. Er veranstaltete zahlreiche Wohltätigkeitsbälle und förderte aktiv junge Amateurmusiker, die er in kleinen Privatkonzerten im großen Salon in der First Street präsentierte.
    Julien erwirtschaftete nicht nur in Riverbend

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