Hexenstunde
schwatzhaften Freunden und Verwandten.
Bemerkenswert ist, daß Katherine sich auf die Kunde von der Hochzeit ihrer Tochter hin ins Bett legte und fünf Tage lang nicht essen und nicht sprechen wollte. Erst als man ihr mit einer Privatklinik drohte, setzte sie sich auf und ließ sich ein wenig Suppe einflößen. »Julien ist der Teufel«, wisperte sie, und in diesem Augenblick trieb Marguerite alle zum Zimmer hinaus.
Leider starb der mysteriöse Lord Mayfair bei einem Sturz vom Burgturm seiner Ahnen in Schottland, zwei Monate vor der Geburt seiner kleinen Tochter. Wiederum schrieb Julien umfangreiche Berichte über alles, was geschah, nach Hause, und Mary Beth richtete tränenreiche Briefe an ihre Freundinnen.
Es ist beinahe sicher, daß dieser Lord Mayfair eine fiktive Persönlichkeit ist. Mary Beth und Julien waren tatsächlich in Schottland; sie verbrachten einige Zeit in Edinburgh und besuchten sogar Donnelaith, wo sie die Burg auf dem Berg über der Stadt kauften, die Petyr van Abel beschreibt. Aber diese Burg, einst der Stammsitz des Clans von Donnelaith, war seit dem späten siebzehnten Jahrhundert eine verlassene Ruine. Und in ganz Schottland findet sich in keiner Akte irgendein Hinweis auf einen Lord Mayfair.
Indessen sind bei Erkundigungen, die die Talamasca in diesem Jahrhundert über die Ruine von Donnelaith eingezogen hat, erstaunliche Dinge zutage gekommen. Ein Brand verwüstete die Burg im Herbst des Jahres 1689, anscheinend etwa um die Zeit, als Deborah in Montcleve in Frankreich hingerichtet wurde – vielleicht sogar am selben Tag, aber das haben wir nie herausfinden können. Bei diesem Brand kamen die letzten vom Clan der Donnelaith – der alte Lord, sein ältester Sohn und sein kleiner Enkel – ums Leben.
Es ist eine verlockende Vermutung: Der alte Lord könnte Deborahs Vater gewesen sein. Eine ebenso verlockende Vermutung ist es, daß er ein elender Feigling war, der es nicht wagte, gegen die Verbrennung des armen, einfältigen Bauernmädchens Suzanne einzuschreiten, obwohl ihrer »frohgezeugten« Tochter Deborah das gleiche schreckliche Schicksal drohte.
Aber wir können dieses nicht mit Sicherheit wissen. Und wir können auch nicht wissen, ob Lasher eine Rolle bei dem Brand spielte, der die Familie Donnelaith auslöschte. Die Geschichte überliefert nur, daß der Alte verbrannte, während der Enkel im Rauch erstickte. Mehrere Frauen der Familie sprangen von den Mauern hinunter in den Tod. Der älteste Sohn fand anscheinend den Tod, als eine Holztreppe unter ihm zusammenbrach.
Die Geschichte überliefert auch, daß Julien und Mary Beth die Ruine von Donnelaith Castle kauften, nachdem sie nur einen Nachmittag dort verbracht hatten. Bis heute ist sie Eigentum der Familie Mayfair, und auch andere Mayfairs haben sie schon besucht.
Bewohnt oder restauriert wurde sie nie, aber man hat allen Schutt abgeräumt, sie wird in sicherem Zustand erhalten, und zu Stellas Lebzeiten im zwanzigsten Jahrhundert war sie der Öffentlichkeit zugänglich.
Warum Julien die Burg kaufte, was er darüber wußte und was er damit vorhatte, ist nie bekannt geworden. Bestimmt wußte er einiges über Deborah und Suzanne – entweder aus der Familiengeschichte oder von Lasher.
Die Talamasca hat der ganzen Frage – wer was wann wußte – sehr viel Zeit und Nach denken gewidmet; es gibt nämlich überzeugende Hinweise darauf, daß die Mayfairs des neunzehnten Jahrhunderts nicht die ganze Familiengeschichte kannten. Katherine gestand bei mehr als einer Gelegenheit, daß sie nicht viel über die Ursprünge der Familie wisse, und selbst Mary Beth hat noch 1920 den Priestern der Pfarrkirche St. Alphonsus erzählt, es sei »alles verloren im Staub«. In einem Gespräch mit Architekturstudenten schien sie nicht einmal genau zu wissen, wer wann Riverbend erbaut hatte.
Wie immer der Sachverhalt gewesen sein mag, Julien reiste 1888 nach Donnelaith und kaufte die Burgruine. Und Mary Beth Mayfair erzählte bis ans Ende ihrer Tage, daß Lord Mayfair der Vater ihrer armen, liebsten kleinen Tochter Belle gewesen sei, die sich als das genaue Gegenteil ihrer mächtigen Mutter erweisen sollte.
Zurück zu unserer Chronologie. Der angebliche Onkel und seine Nichte kehrten gegen Ende des Jahres 1889 mit der kleinen Belle nach Hause zurück; Marguerite, die inzwischen neunzig und extrem hinfällig war, zeigte ein ganz spezielles Interesse an dem Baby.
Tatsächlich mußten Katherine und Mary Beth das Kind in Riverbend die ganze Zeit
Weitere Kostenlose Bücher