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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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– unverblümtes Auftreten, geschäftsmäßige Haltung, Ehrlichkeit und Kälte – später mit ihrer Tochter Carlotta Mayfair verknüpft werden, die nicht Erbin des Vermächtnisses ist und auch niemals war.
    Diejenigen, die Mary Beth mochten und erfolgreich Geschäfte mit ihr machten, lobten sie als eine, die »nicht lange fackele«, und als großzügige Person, die »nicht kleinlich« sei.
    Mit Mary Beths geschäftlichen Interessen und ihrem Appetit auf das Vergnügen werden wir uns weiter unten noch ausführlicher beschäftigen. Hier mag es genügen, zu sagen, daß sie in den ersten Jahren in der First Street genauso tonangebend wie Julien war. Viele Dinnerpartys der Familie wurden ganz allein von ihr geplant, und sie überredete Julien 1896 zu seiner letzten Europareise, bei der sie zusammen mit ihm die Hauptstädte von Madrid bis London bereiste.
    Mary Beth teilte Juliens Liebe zu Pferden von Kindesbeinen an, und häufig ritt sie mit ihm aus. Beide liebten sie das Theater und schauten sich beinahe jede beliebige Sorte von Stücken an – großartige Shakespeare-Aufführungen ebenso wie kleine und unbedeutende Lokalstücke. Beide waren leidenschaftliche Opernliebhaber. In späteren Jahren hatte Mary Beth in fast jedem Zimmer irgendwo eine Pianola stehen, und darauf spielten unablässig Opernplatten.
    Es scheint ihr auch Spaß gemacht zu haben, mit einer großen Zahl von Leuten unter einem Dach zu leben. Ihr Interesse an der Familie beschränkte sich nicht auf Verwandtschaftstreffen und Feiern. Im Gegenteil, ihr Leben lang hielt sie ihre Türen für jeden Verwandtenbesuch offen.
    Beiläufige Berichte über ihre Gastfreundschaft lassen vermuten, daß es ihr Spaß machte, Macht über die Menschen zu haben; sie stand gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Aber selbst in Geschichten, in denen diese Ansicht wörtlich zum Ausdruck kommt, erscheint Mary Beth als Person, die sich mehr für andere als für sich selbst interessiert. Ja, der völlige Mangel an Narzißmus oder Eitelkeit bei dieser Frau ist für jeden, der die Unterlagen studiert, nach wie vor erstaunlich. Großzügigkeit, nicht Lust an der Macht, scheint eine zutreffendere Erklärung für ihre Beziehung zur Familie zu sein.
    1891 bestand der Haushalt in der First Street aus Rémy Mayfair, der um Jahre älter wirkte als sein Bruder Julien, obwohl er es nicht war, und von dem man sich gerüchteweise erzählte, er sterbe an der Schwindsucht, was er 1897 schließlich und endlich auch tat; aus Juliens Söhnen Barclay, Garland und Cortland, die als erste Mayfairs in Internate an der Ostküste geschickt wurden, wo sie gute Erfolge erzielten, aus Millie Mayfair, dem einzigen Kind Rémys, das nie heiraten sollte, und schließlich – neben Julien und Mary Beth – aus ihrer Tochter, der kleinen Belle, die, wie schon erwähnt, ein wenig schwachsinnig war.
    Zur Jahrhundertwende waren nach der Zerstörung von Riverbend Mary Beths Bruder Clay Mayfair und die widerstrebende, an gebrochenem Herzen leidende Katherine Mayfair und von Zeit zu Zeit auch andere Verwandte hinzugekommen.
    Mary Beth lebte bis 1925 – sie starb im September dieses Jahres an Krebs -, aber wir können mit Gewißheit sagen, daß sie sich im Laufe der Zeit nur wenig veränderte: Ihre Leidenschaften und Vorlieben waren gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend die gleichen wie im letzten Jahr ihres Lebens.
    Wenn sie je einen engen Freund oder Vertrauten außerhalb der Familie hatte, so wissen wir davon nichts. Und ihr wahrer Charakter ist ziemlich schwer zu beschreiben. Auf alle Fälle war sie nie eine verspielte, fröhliche Persönlichkeit wie Julien; sie hatte anscheinend keinerlei Verlangen nach großer Dramatik, und selbst anläßlich der großen Familientreffen, bei denen sie tanzte sowie das Photographieren und das Auftragen der Speisen und Getränke beaufsichtigte, beschrieb man sie niemals als »Mittelpunkt der Party«. Eher scheint sie eine ruhige, kraftvolle Frau mit sehr klar umrissenen Zielen gewesen zu sein.
    In welchem Ausmaß Mary Beths okkulte Kräfte ihren Zielen förderlich waren, ist eine sehr bedeutsame Frage. Vielfältige Indizien ermöglichen es uns, fundierte Vermutungen über das anzustellen, was hinter den Kulissen vor sich ging.
    Für die irischen Bediensteten, die in der First Street ein- und ausgingen, war sie immer eine »Hexe« oder eine Person mit Voodoo-Kräften. Aber ihre Geschichten über sie unterscheiden sich auf markante Weise von anderen Berichten, die wir

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