Hexenstunde
gibt Leute, die können keine Geschenke annehmen. Sie wissen nicht, wie sie sie in Besitz nehmen und gebrauchen sollen. Ich muß lernen, Geschenke anzunehmen. Dieses Haus ist ein Geschenk. Die Akte war ein Geschenk. Und die Geschichte darin macht es mir möglich, die Familie anzunehmen! Und, mein Gott, das ist das größte Geschenk von allen.«
Wieder war er erleichtert, zutiefst erleichtert. Ihre Worte bezauberten ihn. Gleichwohl konnte er seine Überraschung kaum verbergen.
»Und die Sache mit Karen Garfield?« fragte er. »Und Dr. Lemle? Ich hatte solche Angst um dich, wenn du es lesen würdest.«
Der Schmerz, der jetzt ihre Miene durchzuckte, war schärfer, greller. Sofort bereute er seine unverblümte Äußerung. Es kam ihm plötzlich unverzeihlich vor, mit einer solchen Bemerkung herauszuplatzen.
»Du verstehst mich nicht«, sagte sie, und ihre Stimme klang so gleichmütig wie zuvor. »Du verstehst nicht, was für eine Art Mensch ich bin. Ich wollte doch wissen, ob ich solche Macht habe oder nicht! Ich bin zu dir gekommen, weil ich dachte, wenn du mich mit deinen Händen berührst, kannst du mir sagen, ob diese Macht wirklich da ist oder nicht. Nun, du konntest es nicht. Aber Aaron hat es mir gesagt. Aaron hat es bestätigt. Nichts, überhaupt nichts konnte schlimmer sein, als diesen Verdacht zu haben, ohne sicher zu sein.«
»Ich verstehe«, sagte er leise.
Als sie weitersprach, klang ihre Stimme müde. »Es gab noch einen Grund, weshalb ich Aaron sehen mußte.«
»Nämlich?«
Sie überlegte kurz. »Ich kommuniziere nicht mit diesem Geist, und das bedeutet, ich habe ihn nicht in der Gewalt. Er hat sich mir nicht offenbart, nicht wirklich. Und vielleicht wird er es nie tun.«
»Rowan, du hast ihn schon gesehen, und außerdem – er wartet auf dich.«
Sie dachte nach, und ihre Finger spielten abwesend mit einem losen Faden am Saum ihres Hemdes.
»Ich fühle Feindseligkeit gegen ihn, Michael«, sagte sie. »Ich mag ihn nicht. Und ich glaube, das weiß er. Ich habe stundenlang allein hier gesessen, habe ihn eingeladen, doch zu kommen, und ihn gleichzeitig gehaßt und gefürchtet.«
Michael dachte einen Moment lang ratlos über ihre Worte nach.
»Vielleicht hat er sein Spiel überreizt«, sagte sie.
»Du meinst, wie er dich berührt hat…«
»Nein, ich meine, daß er sein Spiel mit mir überreizt hat. Vielleicht hat er mitgeholfen, genau das Medium zu erschaffen, das sich nicht mehr von ihm verführen oder in den Wahnsinn treiben läßt. Michael, wenn ich mit dieser unsichtbaren Macht, die in mir steckt, ein Wesen aus Fleisch und Blut töten kann, wie glaubst du, wird Lasher meine Feindseligkeit dann empfinden?«
Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, und einen Moment lang fing sich die Sonne darin und ließ sie strahlend blond erscheinen.
»Ich empfinde tiefverwurzelten Haß gegen dieses Wesen. Oh, ich weiß noch, was du gestern abend gesagt hast – über den Wunsch, mit ihm zu reden, mit ihm zu diskutieren, zu erfahren, was es eigentlich will. Aber der Abscheu ist im Moment meine stärkste Empfindung.«
Michael betrachtete sie eine ganze Weile schweigend, und er fühlte, wie seine Liebe zu ihr sich auf seltsame, beinahe unerklärliche Weise verstärkte.
»Weißt du, du hast recht mit dem, was du vorhin gesagt hast«, stellte er schließlich fest. »Eigentlich verstehe ich dich nicht, und ich begreife nicht, was für eine Art Mensch du bist. Ich liebe dich, aber ich verstehe dich nicht.«
»Du denkst mit dem Herzen«, sagte sie und boxte ihn sanft mit der linken Faust auf die Brust. »Darum bist du so gut. Und so naiv. Aber ich bin anders. In mir ist etwas Böses, das dem Bösen in den Menschen meiner Umgebung nicht nachsteht. Sie überraschen mich selten. Sogar wenn sie mich wütend machen.«
Er wollte nicht mit ihr streiten. Aber naiv war er nicht!
»Ich habe stundenlang über all das nachgedacht«, sagte sie. »Über diese Fähigkeit, Blutgefäße und Aorten platzen zu lassen und den Tod herbeizuführen mit einem geflüsterten Fluch. Wenn diese Macht, die ich da habe, zu irgend etwas gut ist, dann vielleicht dazu, dieses Wesen zu vernichten. Vielleicht kann sie auf die Energie, die von ihm ausgeht, ebenso zielstrebig wirken wie auf Fleisch und Blutzellen.«
»Auf diesen Gedanken bin ich noch nie gekommen.«
»Ich bin Ärztin«, sagte sie. »Und für mich als Ärztin ist es kein Problem, zu sehen, daß dieses Wesen in irgendeiner beständigen
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