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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Beziehung zu unserer physikalischen Welt existiert. Es ist im Prinzip möglich, heraus zu finden, was dieses Wesen ist. Es ist ebensogut möglich, wie es im Jahr siebenhundert vor Christus denkbar war, das Geheimnis der Elektrizität zu kennen, obwohl niemand es kannte.«
    Er nickte. »Seine Parameter. Dieses Wort hast du gestern abend gebraucht. Ich frage mich immer wieder nach seinen Parametern. Und meine Fähigkeit funktioniert ebenfalls nach den Regeln unserer physikalischen Welt. Ich muß die Parameter meiner Fähigkeit ebenso ergründen.«
    Der Schmerz in ihrem Gesichtsausdruck kehrte zurück, wiederum ganz plötzlich, und verzerrte ihre Miene auf groteske Weise.
    »Ich will dir etwas über die alte Frau erzählen«, sagte sie dann, »über Carlotta – und über diese Macht…«
    »Du brauchst es nicht, wenn du nicht willst.«
    »Sie wußte, daß ich es ihr antun würde. Sie hat es vorhergesehen, und dann hat sie mich mit Berechnung provoziert. Ich könnte schwören, daß es so war.«
    »Warum?«
    »Es war ein Teil ihres Plans. Ich denke immer wieder darüber nach. Vielleicht hatte sie vor, mich zu brechen, meine Zuversicht zu brechen. Sie hat sich immer Deirdres Schuldgefühle zunutze gemacht, um ihr wehzutun, und bei Antha hat sie es wahrscheinlich genauso gemacht. Aber ich werde mich nicht dazu verleiten lassen, ihre Pläne in aller Breite zu analysieren. Es wäre jetzt falsch, wenn wir über sie reden wollten und über das, was sie wollen – Lasher, die Visionen; die alte Frau, sie haben einen Haufen Kreise für uns gemalt, und ich will nicht im Kreis gehen.«
    »Ja, ich verstehe nur allzu gut, was du meinst.«
    Langsam wandte er den Blick von ihr und wühlte in seinen Taschen nach seinen Zigaretten. Noch drei Stück. Er bot ihr eine an, aber sie schüttelte den Kopf. Sie beobachtete ihn.
    »Eines Tages«, sagte sie, »werden wir am Tisch sitzen und Weißwein trinken, Bier, was weiß ich, und über sie plaudern. Über Petyr van Abel, über Charlotte, über Julien, über all das. Aber jetzt nicht. Jetzt will ich das Wichtige vom Unwichtigen trennen, das Reale vom Mystischen. Und ich wünschte, du würdest es auch tun.«
    »Ich verstehe, was du meinst«, sagte er. Er suchte seine Streichhölzer. Ah, keine Streichhölzer. Hatte er dem alten Mann gegeben.
    Sie schob die Hand in die Hosentasche, zog ein schlankes goldenes Feuerzeug hervor und gab ihm Feuer.
    »Immer, wenn wir uns mit ihnen befassen«, sagte sie, »ist die Wirkung die gleiche. Wir werden passiv und konfus.«
    »Du hast recht«, sagte er. Er dachte an all die Zeit, die er in dem verdunkelten Schlafzimmer in der Liberty Street zugebracht hatte, wo er versucht hatte, sich zu erinnern, versucht hatte, zu verstehen.
    »Wir werden passiv und konfus«, wiederholte sie und zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich, »und wir denken nicht mehr für uns selbst. Aber genau das müssen wir tun.«
    »Du hast recht«, sagte er. »Ich wünschte nur, ich hätte deine Ruhe und würde nicht dauernd ins Dunkel taumeln und versuchen, mir einen Reim auf alles zu machen.«
    »Du darfst keine Schachfigur in irgendeinem Spiel sein«, sagte sie. »Such die Haltung, die dir maximale Kraft und maximale Würde gibt, ganz gleich, was da sonst noch vor sich geht.«
    »Du meinst, strebe nach Vollkommenheit.«
    »Was?«
    »In Kalifornien hast du gesagt, du findest, wir sollten uns alle bemühen, vollkommen zu sein.«
    »Ja, das habe ich wohl gesagt, nicht? Tja, und ich glaube auch daran. Ich versuche, den vollkommenen Weg zu finden. Du mußt also nicht so tun, als sei ich ein Monstrum, weil ich nicht in Tränen ausbreche, Michael. Du mußt nicht denken, ich wüßte nicht, was ich mit Karen Garfield oder mit Dr. Lemle oder mit dem kleinen Mädchen gemacht habe. Ich weiß es. Ich weiß es wirklich.«
    »Rowan, ich habe nicht…«
    »Ich habe ein Jahr lang geweint, bevor ich dich kennenlernte. Ich habe angefangen zu weinen, als Ellie starb. Und dann habe ich in deinen Armen geweint. Ich habe geweint, als der Anruf aus New Orleans kam und ich erfuhr, daß Deirdre tot war, und dabei hatte ich sie nie kennengelernt oder mit ihr gesprochen oder sie auch nur einmal zu Gesicht bekommen. Ich habe geweint, als ich sie gestern im Sarg liegen sah. Ich habe gestern nacht um sie geweint. Und ich habe auch um die alte Frau geweint. So – und jetzt will ich nicht mehr weinen. Was ich hier habe, ist das Haus, die Familie und die Geschichte, die Aaron mir gegeben hat. Ich habe dich. Und ich

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