Hexenstunde
sich nicht betrinken.
Schließlich verstummten sie. Rowan starrte Michael an, und plötzlich empfand er eine abgrundtiefe Scham.
»Wie fühlst du dich denn, mein Liebes?« fragte er sie. »Nach all diesem Wahnsinn. Ich bin dir keine große Hilfe, wie? Ich muß dir ja eine Todesangst eingejagt haben. Wünschst du dir jetzt, du hättest den Rat deiner Adoptivmutter befolgt und wärest in Kalifornien geblieben?«
»Du hat mir keine Angst eingejagt«, sagte sie zärtlich, »und ich habe dich gern versorgt. Das habe ich dir schon einmal gesagt. Aber ich denke nach. In meinem Kopf sind alle Räder in Bewegung. Und es geht wild durcheinander, da drinnen.«
»Das mußt du erklären.«
»Ich will meine Familie«, sagte sie. »Ich will meine Verwandten, und zwar alle neunhundert, oder wie viele es sind. Ich will mein Haus. Ich will meine Geschichte – und damit meine ich die, die Aaron uns gegeben hat. Aber dieses verdammte Wesen will ich nicht, dieses verdammte geheime, geheimnisvolle Böse. Ich will es nicht, und es ist doch… so verführerisch!«
Michael schüttelte den Kopf. »Es ist so, wie ich’s dir gestern abend gesagt habe. Es ist unwiderstehlich.«
»Nein, nicht unwiderstehlich«, beharrte sie. »Aber verführerisch.«
»Und gefährlich?« erwog Aaron. »Ich denke, dessen sind wir jetzt sicherer denn je. Ich denke, wir wissen jetzt, daß wir von einem Wesen sprechen, das Materie verändern kann.«
»Ich bin nicht so sicher«, widersprach Rowan. »Ich habe diese stinkenden Dinger untersucht, so gut ich konnte. Die Veränderungen waren nicht signifikant; es waren bloß Veränderungen im Oberflächengewebe.«
»Okay, aber wie steht’s denn damit?« Michael ließ sich nicht beirren. »Hast du je von einem Wesen gehört, das so etwas tun konnte? Es geht ja nicht um ein Erröten, sondern um etwas Dauerhaftes! Etwas, das noch nach einem Jahrhundert da ist.«
»Du weißt, wozu der Geist imstande ist«, sagte Rowan. »Ich brauche dir nicht zu erzählen, daß manche Menschen ihren Körper zu einem erstaunlichem Grad durch Gedanken beeinflussen können. Sie können sich sogar sterben lassen, wenn sie wollen. Man hat schon von Leuten gehört, die sich haben schweben lassen – falls man anekdotisches Material als Beleg akzeptieren möchte. Die Herzfrequenz reduzieren, die Körpertemperatur erhöhen – das alles ist möglich und gut dokumentiert. Die Materie ist dem Geist unterworfen, und wir fangen erst an, zu verstehen, in welchem Ausmaß. Das Wesen hat also das subkutane Gewebe eines Leichnams verändert. Na und? Es war also nicht einmal ein lebendiger Organismus, nach allem, was du mir erzählt hast. Es ist alles ziemlich plump und unpräzise.«
»Du erstaunst mich«, sagte Michael beinahe kalt.
»Wieso?«
»Ich weiß nicht. Es tut mir leid. Aber ich habe das schreckliche Gefühl, daß alles geplant ist – daß du bist, wer du bist, daß du eine brillante Ärztin bist! Es ist alles geplant.«
»Beruhige dich, Michael. Die ganze Geschichte hat zu viele Mängel, als daß alles geplant sein könnte. Nichts ist geplant in dieser Familie. Denke doch an die Akte.«
»Es will menschlich sein, Rowan«, sagte Michael. »Das ist die Bedeutung dessen, was es zu Petyr van Abel und zu mir gesagt hat. Es will menschlich sein, und es will, daß du ihm dabei hilfst. Was hat Stuart Townsends Geist zu Ihnen gesagt, Aaron? Er hat gesagt: ›Es ist alles geplant.‹«
»Ja«, sagte Aaron nachdenklich. »Aber es wäre ein Fehler, diesen Traum überzubewerten. Ich denke, Rowan hat recht. Sie können nicht annehmen, zu wissen, was es geplant hat. Und übrigens – was immer es uns einbringen mag -, ich glaube nicht, daß dieses Wesen menschlich werden kann. Vielleicht will es einen Körper haben, aber ich glaube nicht, daß es je ein Mensch sein kann.«
»Ach, das ist ja schön«, sagte Michael. »Das ist wunderschön. Und ich denke doch, daß es alles geplant hat. Es war sein Plan, daß Rowan Deirdre weggenommen wurde. Darum hat es Cortland umgebracht. Es war sein Plan, daß Rowan von hier ferngehalten wurde, bis sie nicht nur eine Hexe, sondern sogar ein Hexendoktor geworden ist. Es hat sogar den Augenblick ihrer Heimkehr geplant.«
»Aber ich halte mich an meinen eigenen Plan«, versetzte Rowan ruhig. »Ich werde das Vermächtnis beanspruchen, und auch das Haus, wie ich es dir gesagt habe. Und ich will das Haus immer noch restaurieren. Ich will darin wohnen. Ich werde mich davon nicht abschrecken lassen.« Sie sah ihn
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