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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aufpaßte, würden sie noch beide hineinfallen in diesen Schleim, in diesen dreckigen Schleim.
    »Aber schau doch! Siehst du das!« Ganz hinten im Regal, hinter dem Glas, das er gerade zerbrochen hatte. Der beste von allen, die Flüssigkeit klar, der dicke Verschluß schwarz wie Teer und ganz intakt. Durch das Geflacker der sinnlosen und unverständlichen Bilder und Laute hörte er sie:
    »Mach’s auf. Zerbrich es«, sagte sie.
    Er gehorchte. Das Glas versank lautlos in der fahlen Schicht der wispernden Stimmen, und er hielt diesen Kopf in der Hand; der Gestank störte ihn nicht länger, und auch nicht die schwammige, verweste Beschaffenheit dessen, was er da hielt.
    Wieder das Schlafzimmer, Marguerite an der Kommode mit schmaler Taille und weiten Röcken, sie drehte sich um und lächelte ihn an, zahnlos, mit dunklen, flinken Augen, ihr Haar eine mächtige, häßliche Kaskade von Spanischem Moos, und Julien, gertenschlank und weißhaarig und jung, mit verschränkten Armen, du Teufel. Laß dich sehen, Lasher. Und dann der Leichnam auf dem Bett, wie er sie zu sich winkte, und sie legte sich zu ihm, und tote, halb verweste Finger öffneten ihr Mieder und berührten ihre lebendige Brust. Der tote Penis erigiert zwischen den Beinen. »Sieh mich an, verändere mich, sieh mich an, verändere mich.«
    Hatte Julien sich abgewandt? Aber nein. Er stand am Fußende, die Hände an die Bettpfosten gelegt, und sein Gesicht pulsierte im matten Schein der Kerze, die im Luftzug vom offenen Fenster flackerte. Fasziniert, furchtlos.
    Ja, und jetzt sieh dir dieses Ding in deinen Händen an: Das ist sein Gesicht, nicht wahr? Das Gesicht, das du im Garten gesehen hast, in der Kirche, im Konzertsaal, das Gesicht, das du so viele Male gesehen hast. Und das braune Haar, o ja, das braune Haar.
    Er ließ den Kopf zu den anderen auf den Boden fallen, er wich davor zurück, aber die Augenhöhlen starrten zu ihm herauf, und die Lippen bewegten sich. Sah Rowan es auch?
    »Hörst du, wie er spricht?«
    Stimmen ringsumher, aber da war nun eine Stimme, eine klare, schneidende, tonlose Stimme.
    … Du kannst mich nicht aufhalten. Du kannst sie nicht aufhalten. Du wirst tun, was ich gebiete. Meine Geduld ist wie die Geduld des Allmächtigen. Ich sehe bis zum Ende. Ich sehe die Dreizehn. Ich werde fleisch sein, wenn du tot bist.
    »Er spricht mit mir, der Teufel spricht mit mir! Hörst du es?«
    Er war zur Tür hinaus und die Treppe hinuntergerannt, ehe er wußte, was er tat, ehe er merkte, daß ihm das Herz in den Ohren donnerte und er keine Luft mehr bekam. Er konnte es nicht länger aushalten; er hatte immer gewußt, daß es so sein würde, das Eintauchen in den Alptraum, und nun war es genug, nicht wahr, was wollten sie denn von ihm, und was wollte sie? Dieser Schurke hatte mit ihm gesprochen! Das Ding, das er im Garten hatte stehen sehen, hatte mit ihm gesprochen, durch den verwesten Kopf! Er war kein Feigling, aber er war ein Mensch. Er konnte es nicht länger aushalten.
    Er hatte sich die Jacke ausgezogen und sie in die Ecke der Diele geschleudert. Ah, der Schleim an seinen Fingern, er konnte ihn nicht abwischen.
    Beiles Zimmer. Sauber und still. Es tut mir leid wegen dieses Drecks, aber bitte laß mich auf dem Bett liegen. Und sie half ihm, Gott sei Dank, und versuchte nicht, ihn daran zu hindern.
    Die Bettdecke war sauber und weiß und voller Staub, aber es war sauberer Staub, und die Sonne, die durch die offenen Fenster schien, war schön und ebenfalls voller Staub. Belle. Belle war es, was er jetzt berührte, der sanfte, freundliche Geist Beiles.
    Er lag auf dem Rücken. Sie brachte ihm die Handschuhe. Mit einem warmen Waschlappen wischte sie ihm die Hände ab, liebevoll und mit sorgenvoller Miene. Sie drückte die Finger auf sein Handgelenk.
    »Lieg still, Michael. Ich habe die Handschuhe hier. Lieg still.«
    Was war das Kalte, Harte an seiner Wange? Er tastete danach. Beiles Rosenkranz; er verhedderte sich schmerzhaft in seinen Haaren, als er ihn fortnehmen wollte, aber das war okay. Er wollte es so.
    Und da war Belle. Oh, wie reizend.
    »Ruh dich aus, Michael«, sagte Belle. Eine süße Tremolo-Stimme – wie Tante Viv. Sie verblaßte, aber er konnte sie immer noch sehen. »Hab keine Angst vor mir, Michael. Ich bin nicht eine von ihnen; nicht deshalb bin ich hier.«
    »Bringe sie dazu, daß sie mit mir reden. Bringe sie dazu, daß sie mir sagen, was sie wollen. Nicht diese hier, sondern die, die damals zu mir kamen. War es

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