Hexenstunde
ist: ein furchtbarer, beängstigender Klang, ein Klang, den man mit einer dunklen und potentiell zerstörerischen Energie verbindet.«
Er hielt inne und schrieb dann weiter: »Ich erinnere mich jetzt auch an etwas anderes. In Rowans Haus in Tiburon. Nachdem wir miteinander geschlafen hatten. Ich wachte auf und dachte, das Haus brennt und es sind alle möglichen Leute unten. Ich erinnere mich jetzt. Es war das gleiche Ambiente, der gleiche gespenstische Lichtschein, die gleiche unheimliche Atmosphäre.
Und in Wirklichkeit saß Rowan unten vor dem Feuer, das sie im Kamin angezündet hatte.
Aber das Gefühl war das gleiche. Feuer und Menschen, viele, viele Menschen, zusammengedrängt, ein heftiger Aufruhr in flackerndem Licht.
Und ich hatte nicht das Gefühl des Wiedererkennens, als ich Julien oben sah, oder Charlotte oder Mary Beth, oder Antha, die arme, tragische Antha, wie sie da über das Vordach kroch. Sie waren nicht in meinen Visionen gewesen. Keine von ihnen. Und Deborah war nur ein zusammengefallener Körper auf dem Scheiterhaufen. Sie stand nicht bei ihnen. Bestimmt hat das etwas zu bedeuten.«
Er las, was er geschrieben hatte. Er wollte mehr schreiben, aber er mißtraute jeder Ausschmückung. Er mißtraute der Logik. War Deborah keine von ihnen? War sie deshalb nicht da?
Er machte sich daran, den Rest zu beschreiben. »Antha trug ein Kattunkleid. Ich habe ihren Lackledergürtel gesehen. Als sie auf das Dach hinauskroch, zerriß sie sich ihre Strümpfe. Ihre Knie bluteten. Aber ihr Gesicht war das eigentlich Unvergeßliche: das Auge, das aus der Höhle gerissen war. Und der Klang ihrer Stimme. Dieser Klang wird mich bis an mein Lebensende verfolgen. Und Julien. Julien sah ebenso wirklich aus wie sie, als er zusah. Julien trug Schwarz. Und Julien war jung. Kein Knabe, wohlgemerkt, sondern ein kräftiger Mann, kein alter Mann. Nicht mal im Bett war er alt.«
Wieder setzte er ab. »Und was Lasher sonst noch sagte, war neu. Etwas von Geduld, vom Warten… und dann erwähnte er die Dreizehn.
Aber was für eine Dreizehn? Wenn es eine Zahl über einer Haustür ist, dann habe ich sie noch nicht gesehen. Die Gläser – es waren keine dreizehn Gläser. Eher zwanzig, aber darüber werde ich Rowan befragen.«
Wieder hielt er inne, erwog Ausschmückungen, fügte keine hinzu.
»Dieser muntere Dämon hat kein verdammtes Wort von einer Tür gesagt«, schrieb er weiter. »Nein, nur diese Drohung, daß ich tot sein werde, wenn er noch Fleisch und Blut besitzt.«
Tot. Gräber. Etwas, das Rowan am Tag zuvor gesagt hatte. Etwas über eine Schlüssellochtür an der Gruft der Familie Mayfair.
»Ich werde morgen hingehen und es mir selbst ansehen. Wenn da irgendwo die Zahl dreizehn bei dieser Tür zu finden ist, dann wird mir das, so hoffe ich bei Gott, mehr Erleuchtung bringen als das, was heute passiert ist.«
Er ließ das Notizbuch auf dem Tisch liegen und ging wieder ins Bett.
Im Schlaf lag Rowan so ruhig und ausdruckslos wie eine Wachspuppe unter der Decke. Die Wärme ihrer Haut überraschte ihn, als er sie küßte. Sie regte sich langsam, drehte sich um, schlang einen Arm um ihn und schmiegte das Gesicht an seinen Hals. »Michael…« flüsterte sie mit verträumter Stimme. »St. Michael, der Erzengel…« Ihre Finger berührten seine Lippen, als wolle sie sich tastend in der Dunkelheit vergewissern, daß er auch wirklich da war. »Liebe dich…«
»Ich liebe dich auch«, flüsterte er. »Du gehörst mir, Rowan.« Und er fühlte die Wärme ihrer Brüste an seinem Arm, als sie sich an ihn schmiegte. Ihr weiches, flauschiges Geschlecht glühte wie eine kleine Flamme an seinem Schenkel, als sie wieder im Schlaf versank.
32
Das Vermächtnis.
Es war ihr irgendwann im Laufe der Nacht in den Sinn gekommen: ein Halbtraum von Krankenhäusern und Kliniken, von prachtvollen Labors, bevölkert von brillanten Forschern…
Und das alles kannst du tun.
Sie würden es nicht verstehen, Aaron und Michael wohl, aber die anderen nicht, denn sie kannten die Geheimnisse der Akte nicht. Sie wußten nicht, was in den Gläsern auf dem Dachboden gewesen war.
Sie wußten manches, aber sie wußten nicht alles, kannten nicht die ganze Vergangenheit durch die Jahrhunderte bis zu Suzanne of the Mayfair, Hebamme und Heilerin in ihrem schmutzigen schottischen Dorf. Sie wußten nichts von Jan van Abel an seinem Schreibpult in Leiden, wo er seine saubere Tintenzeichnung eines gehäuteten Torsos anfertigte und Schichten von
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