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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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herausblickte; eine Wolke umgab ihn, in der Sichtbares und Hörbares sich mischten und immer wieder auflösten, gerinnen wollten und wieder zerfielen. Da war das Glas, glänzend.
    Da waren seine Finger, die am wächsernen Verschluß kratzten.
    Und die wunderschöne Frau aus Fleisch und Blut in der Tür war Rowan.
    Er brach den Verschluß auf und tauchte die Hand in die Flüssigkeit, und die Dünste, die daraus aufstiegen, drangen ihm wie Giftgas in die Nase. Er würgte, aber das hinderte ihn nicht. Er packte den Kopf im Glas an den Haaren, aber die zerfielen ihm unter der Hand, glitschten weg wie Seetang.
    Der Kopf war schleimig und zerfiel. Einzelne Klumpen schwammen vor das Glas, stießen an sein Handgelenk. Aber er bekam ihn zu fassen; sein Daumen bohrte sich in die faulige Wange. Er zog den Kopf heraus und stieß dabei das Glas auf den Boden, so daß die stinkende Flüssigkeit ihn umspritzte. Er hielt den Kopf in der Hand – ein mattes Aufscheinen: der Kopf, wie er sprach, der Kopf, wie er lachte, die Gesichtszüge beweglich, obwohl der Kopf tot war, und das Haar war braun, die Augen blutunterlaufen, aber braun, und Blut sickerte aus dem toten Mund, der redete.
    Aye, Michael, Fleisch und Blut, wenn du längst nur noch Knochen bist.
    Der Mann saß ganz auf dem Bett, nackt und tot, aber doch lebendig mit Lasher in sich, und seine Arme fuchtelten, sein Mund klappte auf und zu. Und neben ihm Marguerite mit ihrem Hexenhaar, die Hände auf seinen Schultern, und ihre großen, weiten Taftröcke umrahmten sie wie ein Kreis von rotem Licht, und sie hielt das tote Ding fest, wie Rowan jetzt ihn festzuhalten versuchte.
    Der Kopf glitt ihm aus der Hand und klatschte in den Schleim zu seinen Füßen. Er sank auf die Knie. Gott! Ihm war schlecht. Er würde sich übergeben; er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog, fühlte den Schmerz hinter seinen Rippen bohren. Mich übergeben. Ich kann nicht anders. Er wandte sich in die Ecke, wollte fortkriechen… Es brach aus ihm hervor.
    Rowan hielt seine Schulter. Wenn dir so schlecht ist, kümmert es dich nicht, wer dich anfaßt. Aber wieder sah er jetzt das tote Ding auf dem Bett. Er wollte es ihr sagen. Sein Mund schmeckte sauer, er war voll von Erbrochenem. O Gott, schau dir die Hände an. Die Schweinerei bedeckte den ganzen Boden und auch seine Kleider.
    »Lasher«, sagte er und wischte sich über den Mund. »Lasher, in dem Kopf, und in dem Körper, der dazugehört.«
    Aye, Michael, wenn du längst nur noch Knochen bist, wie die Knochen, die du da in deinen Händen hältst.
    »Ist das denn Fleisch?« schrie er. »Ist das Fleisch!« Er trat gegen den verwesten Kopf auf dem Boden. Wie Gummi. »Du wirst sie nicht kriegen, nicht hierfür, und für gar nichts!«
    »Michael!«
    Wieder wogte die Übelkeit herauf, aber er ließ es nicht noch einmal hochkommen. Seine Hand erfaßte die Kante des Regals. Ein kurzer Blitz: Eugenia.
    »Kann ihn nicht ausstehen, den Geruch hier unterm Dach, Miss Carl.« »Dann bleib hier weg, Eugenia.«
    Er drehte sich um, wischte beide Hände an seiner Jacke ab, wischte sie heftig sauber, sagte zu Rowan: »Er ist in die Leichen gefahren. Er hat sie in Besitz genommen. Er hat durch ihre Augen geschaut und mit ihren Stimmbändern gesprochen; er hat sie benutzt, aber er konnte sie nicht wieder lebendig machen, konnte die Zellen nicht dazu bringen, sich wieder zu vermehren. Und sie hat die Köpfe aufbewahrt. Er ist in die Köpfe gekommen, als die Körper schon lange nicht mehr da waren, und hat durch ihre Augen herausgeblickt.«
    Er wandte sich ab und riß ein Glas nach dem anderen aus dem Regal. Sie stand neben ihm. Sie spähten durch das Glas, und der Schimmer der Bilder machte ihn halb blind für das, was er eigentlich sehen wollte, aber er war entschlossen, es doch zu sehen. Köpfe mit braunem Haar, und schau, ein blonder Kopf mit braunen Strähnen, und da, das Gesicht eines Schwarzen mit weißen Hautflecken und Strähnen von hellerem Haar, und hier, noch einer, mit weißem, braun gesträhntem Haar.
    »Lieber Gott, siehst du es nicht? Er ist nicht nur hineingefahren, er hat auch das Gewebe verändert, hat die Zellen reagieren lassen, hat sie verändert – aber er konnte sie nicht am Leben halten.«
    Seine glitschigen Finger schlössen sich zur Faust. Er schlug gegen eins der Gläser und sah, wie es herunterfiel. Sie versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Aber sie schlang die Arme um ihn. Und sie flehte ihn an, mit ihr hinauszugehen, zerrte an ihm. Wenn sie nicht

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